Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Kappengeier: Verbreitung. Weſen. Gebaren. Fortpflanzung. 461

fliegt erſt mit Sonnenuntergang ſeinem Schlafplaße zu. Tiefer im Fnneren erſebt er den Schmutgeier, der die Wildnis flieht und ſi< am behaglihſten in unmittelbarer Nähe des Morgenländers zu fühlen ſcheint, wogegen jener auch fern von dem Menſchen den Kampf um das Daſein beſtelt. Man kann ihn ein halbes Haustier nennen. Er iſt mindeſtens ebenſo dreiſt wie unſere Nebelkrähe, ja beinahe ſo wie unſer Sperling. Ungeſcheut läuft er vor der Hausthüre auf und nieder, macht ſi in unmittelbarer Nähe der Küche zu ſchaffen und fliegt, wenn er ausruhen will, höchſtens auf die Spiße eines der nächſten Bäume. Am Morgen harrt auch ex vor den Hütten der ſich entleerenden Menſchen, ſchaut ſachkundigen Auges der hierbei zu entfaltenden, für beide Teile erſprießlihen Thätigkeit zu und iſt ſofort bei der Hand, um die verunreinigte Stelle wieder zu ſäubern. Auf jedem Schlachtplate iſt er ein ſtändiger Gaſt; niemals aber nimmt er etwas weg, was ihm niht zufommt, niemals erhebt er ein Küchlein oder ein anderes lebendes, fleines Haustier: ſeine Hauptnahrung beſteht in den Abfällen der Küche und des menſhlihen Leibes. Manchmal frißt er wochenlang nur Menſchenkot, füttert damit auch ſeine Jungen auf. Beim Aaſe erſcheint er ebenfalls und benimmt ſich hier genau ebenſo wie die anderen. Abweichend von ſeinen großen Verwandten verläßt er ſeinen Schlafplaß mit der Sonne und fliegt ihm erſt mit einbrehender Nacht wieder zu. Für die Nachtruhe wählt er ſi< immer ſolhe Bäume, welche möglichſt weit von allem menſchlichen Treiben entfernt ſtehen. Bei Maſſaua hläft er entweder auf einzelſtehenden Mimoſen in einſamen Thälern der Samhara oder auf dem dihten Shoragebüſche der Fnſeln. Über ſolhen Schlafpläßen führt er erſt einen kurzen Flugreigen aus, fällt ſodann mit zuſammengelegten Flügeln nah unten und ſeßt ſi in Geſellſchaft von anderen auf den gewohnten Baum.

Sn ſeiner Haltung iſt der Kappengeier ein ſehr ſ<hmu>er Vogel und ein e<ter Geier. Selbſt wenn ex fliegt, hält es manchmal ſ{wer, ihn von den übrigen großen Verwandten zu unterſcheiden, wogegen ſein Vetter, der Shmukßgeier, ſih {hon von weitem durch ſeine ſpißigen Flügel und den keilförmigen Schwanz auszeihnet. Die lebhaft gefärbte Kopf- und Kehlhaut verleiht jenem noh einen beſonderen Shmu>; denn während des Lebens zeigen die na>ten Teile alle die Farbenſchattierungen, die wir an der Kollerhaut des Truthahnes beoba<hten önnen.

Auch er liebt die Geſellſhaft von ſeinesgleichen mehr als die anderer Geier; ſo ſtreng aber, wie von Heuglin angibt, meidet er die Genoſſenſchaft mit dem ihm in vieler Hinſiht verwandten Shmußgeier doh niht; man ſieht ihn vielmehr auh nah der Mahlzeit oft mit dieſem verkehren.

In den erſten Monaten unſéres Jahres verläßt er die Ortſchaften und wendet ſich geeigneten Wäldern zu, um hier zu horſten. Jn einem hoc<hſtämmigen Mimoſenwalde am Blauen Nil fand ih im Januar eine förmliche Anſiedelung dieſer Vögel. Die Horſte ſtanden hier auf hohen Mimoſen, teils in Aſtgabeln, teils auf ſtärkeren Äſten am Stamme. Eine weit zahlreihere Anſiedelung fanden wir in der Nähe von Maſſaua in der kleinen, mit Schora- und Gondelbäumen, Avicennien und Nhizophoren beſtandenen Fnſel des Scheich Saïd. Hier ſahen wir und ebenſo na<h uns von Heuglin und Marquis Antinori weite Stre>ken des dichten Gebüſches förmlih bede>t mit den Horſten, die in einer Höhe von 1—6 m über der Flutmarke je nah der Örtlichkeit einzeln oder in größerer Anzahl nebeneinander ſtehen und zum Teil auh den Shmaroßermilanen und zwei verſchiedenen Reiherarten zu ihrem Brutgeſchäfte dienen. Alle von mix unterſuchten Horſte waren verhältni8mäßig lein, kaum 60 cm im Durhmeſſer, flach, feſt zuſammengefügt und beſtanden aus di>eren und dünneren, zur Auskleidung der Neſtmulde ſorgfältiger gewählten Reiſern. Die Neſtmulden waren ſo klein, daß höchſtens ein Junges Plat hatte. Jh habe wohl 20 Horſte erſtiegen und erſteigen laſſen und in allen nur ein einziges Ei gefunden. Es