Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

462 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; zweite Familie: Neuweltsgeier.

iſt rundlich, grobkörnig und grauweiß von Farbe, am di>en Ende ſtark lehmrot geſprenkelt; doch gibt es viele Abweichungen. Beide Geſchlechter brüten, die Männchen, wie es ſcheint, in den Mittagsſtunden, zu welcher Zeit wir mehrere von ihnen beim Abſtreichen vom Horſte erlegten. Beim Zerſtören des einen Horſtes fand ih zwiſchen den unteren Neiſern unzählbare Scharen von Schaben und Wanzen und ganz zu unterſt, zwiſchen den. ſtärkeren Reiſern, eine Schlafmaus, die hier Herberge genommen hatte. An dem ſüdlichen Geſtade des Roten Meeres traf ih im April in jedem Horſte einen halberwachſenen jungen Vogel an. Die Brutzeit ſcheint demnach lange zu währen; die Fungen können alſo nur langſam wachſen. von Heuglin teilt mit, daß ſie den Horſt verlaſſen, ehe ſie eigentlich fliegen können, und ſih dann einige Zeitlang am Meeresſtrande herumtreiben, ſih von Ratten, ausgeworfenen Krabben, Fiſchen 2c. nährend.

Der Kappengeier wird ebenſowenig verfolgt wie ſeine übrigen Verwandten. Seine Jagd verurſacht keine Schwierigkeiten; denn da, wo er vorkommt, vertraut er dem Menſchen. Auch der Fang iſ einfa<h genug. Jh habe einen dieſer Vögel längere Zeit lebend beſeſſen und mih wirkli<h mit ihm befreundet. Abgeſehen von ſeiner natürlichen Hinneigung zu unreinlichen Stoffen, war ex ein ſ{<mu>er und netter Geſell, der mich bald kennen lernte und bei meinem Erſcheinen ſtets lebhafte Freude an den Tag legte. Er entflog mir zu meinem Leidweſen in Ägypten. Neuerdings ſieht man den Kappengeier auch in dieſem oder jenem Tiergarten, immer aber ſelten und einzeln.

Das auffälligſte Kennzeichen der Neuweltsgeier (Sarcorhamphidae) beſteht in den durhgehenden, großen, eiförmigen Naſenlöhern. Abgeſehen davon, kennzeihnen ſih die betreffenden Vögel dur<h ihren mehr oder weniger verlängerten, an der Wurzel des Oberſchnabels mit weicher Wachshaut bede>ten, vor der Wachshaut eingeſhnürten, im Spigenteile ſtark gekrümmten und hakigen Schnabel, die kräftigen, di>läufigen Füße und langen, zugeſpißten Flügel, den ziemlih langen Shwanz und na>ten Kopf und Oberhals, welche Teile meiſt noh mit kammartigen Hautgebilden auf der Shnabelwurzel und Stirn ſowie mit grell gefärbten Wülſten und Falten verziert zu ſein pflegen. Auch der innere Bau läßt bemerkenswerte Unterſchiede mit dem der Falkenvögel erkennen.

Als die edelſten Glieder der Familie ſehen wir die Kammgeier(JZarcorhamphus) an. Die Merkmale liegen in dem verhältnismäßig geſtre>ten Leibe und dem langen, rundlichen, ſeitlich zuſammengedrüten, ſtark hakigen Schnabel, der beim Männchen an der Wurzel mit hohem Kamme, in der Kinngegend mit Hautlappen verziert iſt, dem mittellangen Halſe, den hohen und langzehigen Füßen, den langen, aber ziemli<h ſ<hmalen Flügeln, dem langen Schwanze und dem verhältni8mäßig kleinfederigen, lebhaft bunten Gefieder, das jedoch den Kopf und den Unterteil des Halſes nicht bekleidet. Das Männchen übertrifft das Weibchen an Größe.

Das Schi>ſal des Geieradlers iſ au< dem Kondor (Sarcorhamphus gryphus, magellanicus, cuntur und condor, Vultur gryphus, Cathartes gryphus) geworden. Ebenſo wie jenèn hat man ihn verkannt und verſchrieen, über ihn die wunderbarſten Sagen erzählt und geglaubt. Erſt den Forſchern unſeres Jahrhunderts blieb es vorbehalten, ſeine Naturgeſchichte von Fabeln zu reinigen. A. von Humboldt, Darwin, d'Drbigny