Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

482 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; vierte Familie: Reiher.

Alle Reiher niſten gern in Geſellſchaft von ihresgleichen, verwandter und nicht verwandter Vogelarten. Jhre Neſter, große, roh zuſammengefügte Bauten, ſtehen entweder auf Bäumen oder im Nöhricht auf zuſammengekni>kten Stengeln. Das Gelege enthält 3—6 ungefle>te, weißgrünliche oder blaugrünliche Eier. Nur das Weibchen brütet, wird aber inzwiſhen vom Männchen mit Nahrung verſorgt. Die Jungen verweilen bis zum Flüggewerden oder doch faſt bis zu dieſer Zeit im Neſte, werden nach dem Ausflattern noh eine Zeitlang geaßt, hierauf aber ihrem Schickſale überlaſſen.

Gutbeſeßte Neiheranſiedelungen gewähren ein großartiges Schauſpiel. „Es iſt“, ſo ungefähr ſchildert Baldamus, „im Anfange des Juni; die Nohre haben eine Höhe von reichlih 2 m erreiht und überde>en den trüben Waſſerſpiegel des Weißen Moraſtes. Soweit das Auge reiht, {hweift es über die Ebene, ohne einen Nuheplaß zu finden. Aber auf dem endloſen Grün und Blau ſtehen wundervolle, gelbe, graue, weiße und ſ{hwarze Geſtalten pra<htvoll ab: Silber-, Purpur-, Schopf: und Nachtreiher, Löffler, Fbiſſe, Scharben, Sec\<walben, Möwen, Gänſe und Pelikane. Auf den Bruchweiden und Pappeln, die ſich hier und da erheben, niſten die erſteren. Eine ihrer Anſiedelungen hat höchſtens einen Umfang von cinigen tauſend Schritt, und die Neſter ſind nur auf 100—150 Weiden zerſtreut; aber viele dieſer Bäume tragen 10—20 Neſter. Auf ſtärkeren Äſten der größeren Weiden ſtehen die Neſter des Fiſchreihers, daneben, oft auf deren Rande ruhend, die des Nachtreihers; ſchwächere und höhere Zweige tragen jene des Seidenreihers und der Zwergſcharbe, während tiefer unten auf den ſ<hlanken Seitenzweigen die kleinen, dur<ſihtigen Neſter des Rallen- | reihers ſ{hwanken. Auf dem in Nede ſtehenden Horſtplaße iſt, wie gewöhnlich, der Nachtreiher am zahlreichſten vertreten, auf ihn folgt der Seidenreiher, der Fiſchreiher und endlich der Nallenreiher. Mit Ausnahme der Zwergſcharbe ſind alle ſo wenig ſcheu, daß wochenlang fortgeſeßtes Schießen ſie niht vom Plate vertrieben hat. Sie fliegen zwar nah einem Schuſſe ab, bäumen aber bald wieder auf, ja ſie bleiben oft genug auf demſelben Baume ſißen, der eben beſtiegen wird. Hält man ſi eine kurze Zeit in dem Kahne, unter den Bäumen, ſo beginnt bald das bunteſte Treiben, und es folgen ſih ſo überraſchende und we<hſelvolle Auftritte, daß man niht müde wird, dem nie gehabten Schauſpiele zuzuſehen. Zuerſt klettern die Nachtreiher unter lebhaftem Geſchrei und unter ſonderbaren Grimaſſen von den oberen Zweigen auf ihre Neſter herab, haben dies und jenes daran zure<tzuzupfen, die Eier anders zu ſchieben, ſi< nach allen Seiten hin umzudrehen und den großen, roten Rachen gegen einen allzu nahe kommenden Nachbar unter heiſerem Gefrächze weit aufzuſperren; dann kommen die kleinen Silberreiher im leiſen Fluge, dieſer ein tro>enes Reis zum Neſte tragend, jener behende von Zweig zu Zweig nach ſeinem Horſte ſteigend, dazwiſchen in leichtem, eulenartigem Fluge die herrlichen gelben Geſtalten der Schopfreiher; zuleßt nahen ſih etwas vorſichtiger die Fiſchreiher. Das iſt ein Lärm, ein Schreien, Ächzen, Knarren und Knurren durcheinander, ein Gewimmel von ſhneeweißen, gelben, grauen und ſ<warzen Frrwiſchen auf dem lihtblauen Grunde, daß Ohr und Auge verwirren und ermatten. Endlich wird es ruhiger; der Lärm nimmt ab. Die große Mehrzahl der Vögel ſitt brütend auf oder wachend neben dem Neſte, nur einzelne fliegen, Neſtſtoffe herbeitragend, ab und zu. Da fällt es plößlihh einem ſich langweilenden Nachtreiher ein, irgend ein Reis von dem Neſte ſeines Nachbars für das ſeinige paſſend zu finden, und das Geſchrei, das eben etwas verſtummt war, beginnt von neuem. Wieder ein Piano; denn eigentliche Pauſen gibt es da niht. Woher nun jezt das ſ{hre>liche Fortiſſimo? Sieh da, ein Milan, der 50 Schritt davon ſeinen Horſt hat, nimmt mit aller Ruhe in jeden ſeiner Fänge einen jungen Fiſchreiher. Der Alte geht murrend und drohend vom Horſte, [läßt den Räuber aber ruhig mit ſeinen Kindern davonziehen, während nur ein Verſuch, ſeine gefährliche Waffe und ſeine Kraft anzuwenden, dieſer und ähnlicher Schmaroßer Tod werden müßte. Einige Nacht-