Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Nether: Allgemeines. Verbreitung. Weſen. Stimme. . 481

mittleren Zehe auf der JFunenſeite fein kammartig gezähnelt, der Flügel lang und breit, vorn aber ſtumpf, weil die zweite, dritte und vierte Shwinge faſt gleiche Länge haben, der aus 10—12 Federn gebildete Shwanz kurz und abgerundet, das Kleingefieder ſehr reich, weih und lo>er, am Scheitel, auf dem Rücken und an dev Oberbruſt oft verlängert, teilweiſe auch zerſchliſſen, ſeine Färbung eine ſehr verſchiedenartige und nicht ſelten anſprechende, obgleich eigentli<e Prachtfarben niht vorkommen. Ganz eigentümlich ſind zwei kiſſenartige, mit hellgelbem oder gelblihweißem, ſeidigem, flo>igem oder zottigem Flaume beklcidete Stellen auf jeder Seite des Leibes, von welchen eine unter dem Flügelbuge über der Bruſthöhle, die andere neben dem Kreuzbeine an der Bauchſeite liegt. Die Geſchlechter unterſcheiden ſih äußerlich höchſtens durch die etwas verſchiedene Größe; die Jungen tragen ein von dem der Alten abweichendes, minder ſ{hönes Gefieder.

Die Reiher bewohnen alle Erdteile, alle Gürtel der Höhe und mit Ausnahme der hochnordiſchen alle Länder. Schon innerhalb des gemäßigten Gürtels treten ſie zahlreich auf, in den Wendekreisländern bilden ſie den Hauptbeſtandteil der Bevölkerung der Sümpfe und Gewäſſer. Einige Arten ſcheinen das Meer zu bevorzugen, andere halten ſi< an Flüſſen, wieder andere in Sümpfen auf; einige lieben freiere Gegenden, andere Walddikichte oder Wälder überhaupt.

Das Weſen der Reiher iſt niht beſtehend. Sie verſtehen es, die wunderbarſten Stellungen anzunehmen: feine einzige von dieſen aber kann anmutig genannt werden; ſie ſind ziemlih bewegungsfähig: jede ihrer Bewegungen aber hat, mit der anderer Schreitvögel verglichen, etwas Schwerfälliges oder mindeſtens Unzierlihes. Fhr Gang iſt gemächlich, langſam und bedächtig, ihr Flug keine8wegs ungeſchi>t, aber einförmig und ſchlaff. Sie ſind im ſtande, im Röhricht oder im Gezweige behende umherzuklettern, ſtellen ſich dabei aber ſo an, daß dies ungeſchi>t ausſieht; ſie ſind fähig zum Schwimmen, thun dies jedo<h in einer Weiſe, daß ſie unwillkürlih zum Lachen reizen. Fhre Stimme iſ ein unangenehmes Gekreiſh oder ein lautes, weithin ſchallendes Gebrüll, das manchem Menſchen unheimlich dünktt, die Stimme der Jungen ein widerwärtiges Gebelfer. Unter den Einnen ſteht unzweifelhaft das Geſicht obenan; der Blik des ſchönen, meiſt hell gefärbten Auges hat aber etwas Tückiſches, wie das einer Schlange, und das Weſen der Reiher ſtraft dieſen Blick nicht Lügen. Unter allen Schreitvögeln darf man ſie wohl als die hämiſchſten und boshafteſten bezeihnen. Sie leben zwar oft in größeren Geſellſchaften, dürfen jedoch deswegen \hwerli< geſellige Vögel genannt werden; denn ein jeder iſt neidiſh auf des anderen Glück und läßt feine Gelegenheit vorübergehen, ſein Übelwollen zu bethätigen. Größeren Tieren weichen ſie ängſtlih aus, indem fie ſich entweder entfernen oder dur< ſonderbare Stellungen unkenntlih zu machen ſuchen; kleineren gegenüber zeigen ſie ſi< mordſüchtig und blutgierig, mindeſtens unfriedlih und zankluſtig.

Jhre Beute beſteht vorzugsweiſe in Fiſchen; die kleineren Arten ſind der Hauptſache nah Kerbtierfreſſer: aber alle verſ<mähen kaum irgend ein anderes Tier das ſie bewältigen können. Sie verzehren kleine Säugetiere, junge und unbehilflihe Vögel, Lurche verſchiedener Art, vielleicht mit Ausnahme der Kröten, und ebenſo Weichtiere und Würmer, vielleicht au< Krebſe. Lautlos und höchſt bedächtig, beutegierig das Waſſer dur<ſpähend, ſchleichen ſie, den langen Hals ſo tief eingezogen, daß der Kopf auf den Schultern, die untere Schnabellade auf dem vorgebogenen Halſe ruht, watend dahin; bligſchnell ſtre>t ſich der Hals plößlih zu ſeiner ganzen Länge aus, und wie eine geſchleuderte Lanze fährt der Schnabel auf die meiſt unrettbar verlorene Beute. Jn ähnlicher Weiſe verteidigen ſie ſich Angreifern gegenüber. Solange wie möglich fliehen ſie vor jedem ſtärkeren Feinde; gedrängt aber greifen ſie wütend an, zielen jederzeit nah dem Auge ihrer Gegner und können daher höchſt gefährlih verwunden.

Brehm, Tierleben. 3. Auflage. YL D