Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

486 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; vierte Familie: Neiher.

nach den ganzen Teich, werfen alle Augenbli>e den zuſammengelegten Hals wie eine Schnellfeder vor, ſo daß bald nux der Schnabel allein, bald au<h no< der ganze Kopf dazu unter die Waſſerfläche und wieder zurücfährt, fangen faſt immer einen Fiſh, verſhlu>en ihn ſogleich oder bringen ihn zuvor im Schnabel in eine verſhlucbare Lage, den Kopf nah vorn, und verſchlingen thn dann. Wenn der erzielte Fiſch zu tief im Waſſer geſtanden hat, fährt der Reiher mit dem ganzen Halſe hinunter, wobei er, um das Gleichgewicht zu behalten, jedesmal die Flügel etwas öffnet und mit deren Vorderteilen das Waſſer ſo ſtark berührt, daß es plumpt. Es iſt mir auch vorgekommen, daß ein ſolcher Schleicher plößlih Halt machte, einige Augenbli>e ſtillſtand und fogleih einen Fiſh erwiſchte, wahrſcheinlich, weil er zwiſchen mehrere dieſer flinken Waſſerbewohner trat, die nicht gleih wußten, wohin ſie fliehen ſollten und ihn in augenbli>liche Verlegenheit brachten; denn er iſt gewöhnt, ſicher zu zielen und ſtößt ſelten fehl, wird auch nie einen zweiten Stoß auf den verfehlten Fiſch anbringen können. Fröſche, Froſhlarven und Waſſerkerfe ſucht er ebenfalls ſchleichend auf. Die erſteren verurſachen ihm, wenn ſie etwas groß ſind, viele Mühe; er ſticht ſie mit dem Schnabel, wirft ſie weg, fängt ſie wieder auf, gibt ihnen Kniffe 2c. , bis ſie halb tot mit dem Kopfe voran hinabgeſ<hlungen werden.“ Gelegentlich ſucht ein Reiher auch in tiefem Waſſer Beute zu erlangen, indem er ſ{hwimmend fiſcht.

Der Fiſchreiher brütet au< in Deutſchland gern in Geſellſchaft und bildet hier und da Anſiedelungen oder Reiherſtände, die 15—100 und mehr Neſter zählen und ungeachtet aller Verfolgungen jährlich wieder bezogen werden, ſelbſt wenn die Brutvögel vom nächſten Waſſer aus 10 km und weiter fliegen müſſen, um ſie zu erreichen. Fn der Nähe der Seeküſten geſellt ſih die Scharbe regelmäßig zu den Reihern, wahrſcheinlih, weil es ihr bequem iſt, deren Horſt zu benußen, Bäume und Boden werden vom Kote der Vögel weiß übertüncht, alles Laub verdorben; faulende Fiſche verpeſten die Luft; furz, es gibt hier, wie Naumann ſagt, „der Unfläterei und des Geſtankes viel“. Fm April erſcheinen die alten Reiher an den Neſtern, beſſern ſie aus und beginnen hierauf zu legen. Der Horſt iſt etwa 1 m breit, fla<h und funſtlos aus dürren Stöcken, Reiſern, Rohr, Schilf 2c. zuſammengebaut, die ſeichte Mulde mit Borſten, Haaren, Wolle, Federn nachläſſig ausgelegt. Die 3—4 durhſhnittlih 60 mm langen, 43 mm dien, ſtarf- und glattſchaligen Eier ſehen grün aus. Nach einer 3 Wochen währenden Bebrütung entſchlüpfen die Fungen, unbehilflihe und häßliche Geſchöpfe, die von einem beſtändigen Heißhunger geplagt zu ſein ſcheinen, unglaublich viel freſſen, einen großen Teil ihrer Nahrung vor lauter Gier über den Nand des Neſtes hinabwerfen, länger als 4 Wochen im Horſte verweilen, auf das warnende „Ka“ ihrer Eltern ſi<h drü>en, ſonſt oft aufrecht ſtehen und endlih, nachdem ſie völlig flügge geworden ſind, ſi< entfernen. Die Eltern unterrichten ſie no< einige Tage und überlaſſen ſie dann ihrem Schickſale; alt und jung zerſtreut ſih, und der Reiherſtand verödet.

Edelfalken und große Eulen, auh wohl einzelne Adler greifen die Alten an, ſ<hwächere Falken, Raben und Krähen plündern die Neſter. „Auffallend“, ſagt Baldamus, „iſt die wirklih lächerliche Furcht dieſer mit ſo gefährlicher Waſfe ausgerüſteten Reiher vor allen Raubvögeln und ſelbſt vor Krähen und Elſtern. Die Räuber ſcheinen das auch zu wiſſen, denn ſie plündern jene Anſiedelungen mit einer großartigen Unverſchämtheit, holen die Eier und Jungen mitten aus dem dichteſten Shwarme heraus, ohne daß ſie mehr als gräßliches Shhreien, fur<htſames Zurü>weichen, einen weit aufgeſperrten Rachen und höchſtens einen matten Flügelſchlag zu erwarten haben. Wohl aber habe ich geſehen, daß ein ziemlih erwachſener junger Reiher mit geſträubtem Gefieder und aufgeblaſener Kehle nach einer Elſter ſtieß, die cin auf den Rand ſeines Neſtes geſtüßtes Nachtreiherneſt plünderte. Auch gegen den Menſchen ſetzen ſi ſolche junge Reiher fauchend und ſtehend zur Wehre, aber nur dann, wenn ſie, auf den äußerſten Rand ihres Neſtes gedrängt, zur Verzweiflung getrieben ſind.“