Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

502 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; vierte Familie: Reiher.

nebenſtehenden Männchen ein, ſeinem über ihm ſtehenden Nachbar in die Ständer oder in die Zehen zu zwi>en. Dieſer breitet ſeine Flügel abwehrend aus, ſperrt den Schnabel weit auf und ſucht zu vergelten, wird aber vom Angreifer ſteigend verfolgt, bis das Ende eines Aſtes nah dem Stamme oder nach außen dem Verfolgten entweder den Mut der Verzweiflung oder die Flucht dur< die Schwingen gebietet. Fm leßteren Falle wird er in der Regel niht weiter verfolgt, im erſteren Falle der Angreifer in ähnlicher Weiſe zurückgetrieben. Lächerlich wirkt der Gegenſaß zwiſchen dem großartig erſcheinenden Aufwande von Mitteln und dem geringen Erfolge. Der weit aufgeſperrte Schnabel die unendlichen Veränderungen ihrer rauhen „Koau‘, „Krau‘, „Kräü“, „Kräät 2c., die gleichſam von Zornesfeuer und blutrot leuchtenden großen Augen, die drohend erhobenen Flügel, das Zurückbiegen und Vorſchnellen des Kopfes, die abenteuerlihen Wendungen des ganzen Körpers, das Anlegen und Aufrichten der Scheitel- und Genickſedern laſſen einen Kampf auf Tod und Leben befürchten, und ſiehe, kaum berühren ſie ſi<h, und zwar nur wenig mit den Flügelſpizen, höchſt ſelten einmal gegenſeitig mit dem Schnabel. Sie drohen und ſchreien wie die Homeriſchen Helden und Götter, aber das iſt auch alles.“

Beachten8wert iſt, daß der Nachtreiher während der Brutzeit ſich au<h bei Tage mit Fiſchfang beſchäſtigt. Freilih treibt ihn der niemals zu ſtillende Hunger ſeiner Fungen zu ungleich größerer Thätigkeit an als ſonſt, und wohl oder übel ſieht er ſih genötigt, ſeine gewohnte Lebensweiſe zu verändern. „Von allen Seiten, hoh und niedrig“, ſchildert Landbe>, „Zieht der Nachtreiher, den Kropf mit Fiſchen, Fröſchen und Kerbtierlarven angefüllt, zu ſeinen Neſtern. Ein im tiefſten Baſſe ausgeſtoßenes „Quak“ oder ,Gewäk“ kündigt ſeine Ankunft {hon in bedeutender Entfernung an, und ein kaßenartiges „Quäht quäht“ oder „Queaohaaeh queoeah‘ der Jungen iſt die Antwort beim Füttern. - Haben ſi die Alten entfernt, dann beginnt die Muſik der Fungen aufs neue, und aus allen Neſtern tönt ein ununterbrochenes , Zikzikzik zäkzäkzäk zgäzgäzgä“ und „Gättgättgättgätt“. Zur Abwechſelung klettern die jungen Reiher auf den Äſten hinaus auf die Wipfel der Neſtbäume, wo ſie eine freiere Ausſicht genießen und ihre Eltern ſhon in der Ferne kommen ſehen, ſi< aber auh ſehr oft täuſhen.“ Der Boden unter den Bäumen iſt mit zerbrochenen Eierſchalen, faulenden Fiſchen, toten Vögeln, zertrümmerten Neſtern und anderem Unrate überſäet; ein durhdringender Geſtank verbreitet ſi< ringsum. Funge Nachtreiher, die aus ihren Neſtern geſtoßen wurden, laufen unten umher, die Fiſche aufſammelnd, die von den gefräßigen Neſtjungen oben in den Bäumen hinabgeworfen werden, falls ſih niht die Alten bequemen, ſie auh unten zu füttern. Schon in bedeutender Entfernung vernimmt man ein ſonderbares Praſſeln und Plumpen, herrührend von dem dichten Kotregen und dem Herabfallen von Fiſchen oder Herabſtürzen der Jungen. Niemand kann unten umhergehen, ohne grün und blau bemalt zu werden. Jn der Nähe iſt. der Lärm fürchterlich, der Geſtank faſt unerträglih und der Anbli> von Dutenden verweſender junger Reiher, die mit Tauſenden von Fleiſchfliegen und Maden bede>t und dadurch tauſendfältig wieder belebt find, äußerſt ekelhaft.

Jn früheren Jahrhunderten ſheint man an der Jagd auf Nachtreiher abſonderlihes Vergnügen gefunden zu haben, weil man dieſen Vogel zur hohen Fagd rehnete und als Wildbret in Ehren hielt. Gegenwärtig erlegen ihn Raubſchüßen wegen ſeiner drei weißen Geni>federn, „Bismar>federn““ genannt, die von Federſhmü>ern geſucht und zu Federbüfchen verarbeitet werden. Gefangene ſieht man in den meiſten Tiergärten. Zu den anziehenden Vögeln gehören ſie niht, da ſie auh in der Gefangenſchaft den ganzen Tag verſchlafen.

Die von dem allgemeinen Gepräge am meiſten abweichende Art der Gattung iſt offenbar der Kahnſhnabel, Savaku der Südamerikaner (Nycticorax cancrophagus,