Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Hausſtor<: Zug. Aufenthalt. Weſen. 509

an und gründen hier auf ſtarken Väumen ihren großen Horſt; die Mehrzahl aber niſtet im Gehöfte der Bauern oder wenigſtens auf Dächern.

Wenn man beſonderes Glü> hat, kann man die Ankunft des beliebten Dachgaſtes beobachten und ſehen, daß ſi< das Paar, das im vorigen Jahre im Gehöfte niſtete, plöblich aus ungemeſſener Höhe in Schraubenlinien herabläßt auf den Dachfirſt und nun vom erſten Augenbli>e an ſo heimiſch thut, als wäre es nie verreiſt geweſen. Sofort nach der Ankunft beginnt das gewöhnliche Treiben. Der Storch fliegt vom Neſte, das wirklich zu ſeinem Haufe wird, weg, auf Feld und Wieſen, nah Sümpfen und Moräſten hinaus, um ſeiner Jagd obzuliegen, kehrt in den Mittagsſtunden gewöhnlich wieder zurü>k, unternimmt nachmit: tags einen zweiten Ausflug, kommt vor Sonnenuntergang nach Hauſe, klappert und ſchi>t ſi ſ<hließli< zum Shlafen an. So treibt er es, bis die Fortpflanzungszeit eintritt und nunmehr die Sorge um die Brut eine gewiſſe Abweichung von dex gewohnten Lebensweiſe bedingt.

Das Betragen erſcheint uns würdevoll. Sein Gang iſt langſam und gemeſſen, ſeine Haltung aufgerichtet, ſein Flug, der dur<h wenige Sprünge eingeleitet wird, verhältnismäßig langſam, aber doh leiht und ſchön, namentlih dur< prachtvolle Schraubenlinien ausgezeihnet. Fm Stehen pflegt er den Hals etwas einzuziehen und den Schnabel mit der Spiße nah unten zu rihten ; niemals aber nimmt ev eine ſo häßliche Stellung an wie die meiſten Reiher, und ſelbſt in der tiefſten Ruhe ſieht er anſtändig aus. Selten ſteigert er ſeinen Gang bis zum Rennen; dieſe Bewegung ſcheint ihn auch bald zu ermüden, während er, in ſeiner gewöhnlihen Weiſe dahinwandelnd, ſtundenlang in Thätigkeit ſein fann. Der Flug ermüdet ihn niht; er bewegt die Flügel ſelten und auh niht oft nacheinander, weiß aber den Wind oder jeden Luftzug ſo geſchi>t zu benußen, daß er ſhwebend na< Belieben ſteigt und fällt, und verſteht ſein Steuer ſo treffli<h zu handhaben, daß er jede Wendung auszuführen vermag. Sein Verſtand iſt ungewöhnlich ausgebildet. „Er weiß ſih“, ſagt Naumann, „in die Zeit und in die Leute zu ſchi>en, übertrifft darin faſt alle übrigen Vögel, und iſt keinen Augenbli> darüber in Zweifel, wie die Menſchen an dieſem oder jenem Orte gegen ihn geſinnt ſind. Er merkt gar bald, wo er geduldet und gern geſehen iſt, und der wenige Tage früher in einer fremden Gegend angekommene, ſchüchterne und vorſichtige, dem Menſchen ausweiGende, allem mißtrauende Storch hat nah der Einladung, die ein zur Grundlage ſeines zukünftigen Neſtes auf ein hohes Dach oder auf einen Baumkopf gelegtes Wagenrad iſt, ſofort alle Furcht verloren, und nachdem ex Beſiß von jenem genommen, iſt er nah wenigen Lagen ſchon ſo zuthulih geworden, daß er ſih fur<htlos aus der Nähe begaffen läßt. Bald lernt ex ſeinen Gaſtfreund kennen und von anderen Menſchen, oder die ihm wohlwollenden überhaupt von mißgünſtigen und gefährlichen Perſonen unterſcheiden. Er weiß, ob man ihn liebt und gern ſieht, oder ob man ihn nux mit Gleichgültigkeit betrachtet; denn er beobachtet aufmerkſam und macht feine Erfahrung umſonſt.“ Sein Betragen richtet ſi ſtets nah den Umſtänden. „Jh habe“, erzählt mein Vater, „oft nah einem, der im Neſte ſtand, mit der Flinte gezielt: er blieb dabei ſo ruhig, als wenn er wüßte, daß ihm nichts geſhehen würde. Wenn er aber Nachſtellungen exfährt, wird er auh beim Neſte ſehr ſcheu. Ehe ih einen in meiner Sammlung hatte, wollte ih das Weibchen eines Paares, das auf einer Eiche geniſtet hatte, erlegen. Als ih mich ihm näherte, verließ es ſofort das Neſt, obgleich es bei Mondſchein geſhah, und fam erſt lange nachher wieder. Jett verſagte mir das Gewehr; die wenigen Funken aber, die der Stein ſ{lug, mahten einen ſolchen Eindru> auf den Storch, daß er mic bis 11 Uhr nathts vergeblich warten ließ, ob ih mich glei gut eingeſtellt hatte. Zwei Jahre darauf erinnerte er ſih dieſer Nachſtellung noch; denn ſo lange nachher war das brütende Weibchen ſo heu, daß ih mi< bei Mondſchein kaum auf 70 Schritt