Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

510 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; ſechſte Familie: Störche.

anſchleihen konnte.“ Fern vom Neſte zeigt ſih der Stor ebenſo ſcheu wie alle ſeine Verwandten. Er kennt die Bauern, Hirten und Kinder ſehr gut als ungefährliche Menſchen, meidet aber doh jede Annäherung und erſhwert dem Jäger, der ihn erlegen will, {hußgere<t anzukommen. Noch viel vorſichtiger und ſcheuer zeigt er ſih auf dem Zuge oder überhaupt, wenn er mit anderen ſeiner Art ſich vereinigt. Jn Aſrika flieht er ſeine Landsleute, die Europäer, ſtets aus größerer Entfernung als die Eingeborenen.

Gewöhnlich betrachtet man den Storch als einen harmloſen und gutmütigen Vogel; dieſe Eigenſchaften beſit er jedoh durhaus niht. „Seine Art, ſi zu ernähren“, ſagt Naumann, „macht ihm das Morden zur Gewohnheit, und dieſe kann ſogar zuzeiten auf ſeinesgleichen übergehen. Man hat Beiſpiele, daß Störche von anderswo herfamen, das Neſt ſtürmten, über die Fungen herfielen und, troß der verzweifelten Gegenwehr ihrer Eltern, ſie endlih doh ermordeten, dies auh bei mehreren in der Gegend ſo machten.“ Der gezähmte Stor geht, gereizt, ſeinem Widerſacher unter Umſtänden zu Leibe; der angeſchoſſene wehrt ſich tapfer, verſeßt bis zum leßten Hauhe Schnabelſtöße und kann, da dieſe häufig nah den Augen gerichtet ſind, Menſchen oder JFagdhunden leicht gefährlich werden. „Sonderbar genug herrſcht unter den Störchen eine große Verſchiedenheit der Geſinnung. Manche ſind gegen andere verträglich, leiden ſie auc niſtend in der Nähe, während andere in einem gewiſſen Kreiſe mit ſtörriſcher Beharrlichkeit die Alleinherrſchaft behaupten. Einerlei Ziel, Zwe> und Mittel, au<h wohl Furcht vor Gefahren, machen ihn auf ſeinen Reiſen geſellig oder veranlaſſen ihn, in größeren Vereinen zu reiſen. Nur gegen ſeinesgleihen kann der Storch geſellig ſein, gegen andere nie; der vereinzelte ſ<ließt ſich nie einer anderen Art an, nicht einmal ſeinem nä<hſten Verwandten.“ Wenn Eiferſucht ins Spiel kommt, kämpft er auf Leben und Tod, und kleinen Tieren gegenüber bleibt er immer gefährlich.

Der einzige Stimmlaut, den der Storch hervorbringen kann, iſt ein heiſeres, unbeſhreiblihes Ziſchen. Man vernimmt dies ſelten, am öfteſten noh von gezähmten, die beſondere Freude an den Tag legen wollen. Gewöhnlich drü>t er ſeine Gefühle dur< Klappern mit dem Schnabel aus, und er verſteht dieſes ſonderbare Werkzeug wirklich kunſtgereht zu handhaben, klappert bald länger, bald kürzer, bald ſchneller, bald langſamer, bald ſtärker, bald ſ<wächer, klappert aus Freude oder aus Kummer, wenn er hungrig iſt, und nachdem er ſich geſättigt hat, macht ſeinem Weibchen klappernd ſeine Liebeserklärung und liebkoſt Tlappernd ſeine Jungen. Dieſe lernen die merkwürdige, aber keineswegs arme Sprache ihrer Eltern, noch ehe ſie flugbar werden, und drü>en, ſobald ſie klappern fönnen, ihre Gefühle ebenfalls dadur<h aus, während man früher von ihnen Laute vernahm, die zwar ebenſowenig klangvoll ſind wie die ihrer Eltern, aber doh als Laute bezeihnet und ein Gewinſel oder Gezwitſcher genannt werden dürfen.

Tiere der verſchiedenſten Art bilden die Nahrung des Storches. Er iſt ein Raubvogel in der vollſten Bedeutung des Wortes. Es ſcheint, daß er Lurche, Kerbtiere und Regenwürmer vorzieht, wohl aber nur, weil ſie ſi<h am leichteſten fangen laſſen. Bei ſeinen gewöhnlichen Fagdgängen trifft er am häufigſten Fröſche, Mäuſe und Kerbtiere an, und ſie werden zuerſt mitgenommen; aber er tötet au<h Eidechſen, Blindſhhleichen, Nattern, ſelbſt Giftſchlangen, iſt na< Fiſchen ebenſo begierig wie nah Fröſchen, ſtellt ihnen gelegentlih im trüben Waſſer eifrig na<h und verſhlu>t ſolche bis zur Länge einer Manneshand. Große Nattern bearbeitet er, laut Lenz, bevor er ſie faßt, oft lange mit Shnabelhieben, bis ſie ganz ohnmächtig geworden ſind, und ſ<hlu>t ſie dann, wie ex ſie gerade pat, hinab, entweder den Shwanz oder den Kopf vorweg, gleichviel ob ſie ſhon tot ſind oder ſi< no< feſt um ſeinen Schnabel ringeln, ſo daß er genötigt iſt, ſie dur<h eine heftige Bewegung wieder herauszuſ<hleudern oder ſie mit einem Fuße herauszukraßen, worauf er ſie von