Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

530 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; achte Familie: Jbiſſe.

Jules Verreaux. Diejenigen, welche ih ſah, ſtanden meiſt in den unterſten Stamm- oder Aſtgabeln der Mimoſen, nicht eben hoh über dem Boden; nah Verreaux werden die Neſter aber auh auf Baumäſten oder auf hohen Büſchen angelegt. Alle ſind aus Reiſern und Lehm kunſtvoll zuſammengefügt. Äußerlich hat der Bau 1!/2—2 m im Durchmeſſer und beinahe“ ebenſoviel an Höhe, da er kuppelförmig überwölbt iſt. Das Fnnere enthält drei vollkommen getrennte Räume: ein Vorzimmer, einen Geſellſchaftsraum und das Schlafgemach. Dieſe Zimmer ſind ebenſo ſ{hön hergeſtellt wie das Äußere, ihre Eingänge eben nur ſo groß, daß der Vogel durchzukriechen vermag. Der hintere Naum liegt höher als die beiden vorderen, ſo daß im Falle der Not eingedrungenes Waſſer abfließen kann; das Ganze iſt aber ſo trefflih gearbeitet, daß ſelbſt ſtarke RNegengüſſe keinen Schaden thun, und wenn dies dennoh der Fall ſein ſollte, ſind die Bewohner raſh bei der Hand, um ihn geſhi>t wieder auszubeſſern. Das Schlafzimmer iſt das geräumigſte, liegt zu hinterſt, und hier iſt es, wo beide Geſchlechter abwechſelnd brüten. Auf weichem Polſter von Schilf und verſchiedenen anderen Pflanzenteilen liegen daſelbſt die 3 — 5 weißen, 44 mm langen, 33 mm diden Eier, aus welchen das Gelege beſteht; der mittlere Naum des Neſtes dient als Niederlage für die Jagdbeute: man kann hier zu allen Zeiten, als Beweis überreichlicher Vorräte, Knochen eingetro>neter oder verweſter Tiere ſehen. Fm Vorzimmer, dem kleinſten von allen dreien, hält fih der Wachtpoſten auf, der, ſtets auf der Lauer ſtehend, durch ſein heiſeres Geſchrei den Gefährten warnt und zur Flucht antreibt. Verreaux bemerkte, daß die Schildwache immer auf dem Bauche lag und den Kopf herausſtre>te, um eine herannahende Gefahr ſogleich zu bemerken. Wie bei den Reihern dauert es lange, bis die jungen Schattenvögel das Neſt verlaſſen. Bis dahin ſind beide Alte unermüdlich beſchäſtigt, ihnen, zumeiſt kurz nah Sonnenaufgang und vor Sonnenuntergang, Nahrung zuzuſhleppen. Die faſt na>ten Jungen zeigen Spuren eines graubraunen Flaumes. -

Neuerdings haben Monteiro, Middleton und Falkenſtein über den Neſtbau berihtet. Erſterer ſagt, daß die Eingeborenen Angolas verſichern, der Schattenvogel baue fein eignes Neſt, ſondern laſſe andere Vögel für ſi<h arbeiten; Middleton aber ſah den Eigner ſelbſt Neſtſtoffe herbeiſhleppen. Einmal fand leßtgenannter Forſcher drei Neſter auf einem Baume und eins dicht daneben, nur 2 m über dem Boden. Die Bauten waren ſo feſt, daß ſie einen Menſchen trugen, die Kammern aber ſo klein, daß ſie kaum Raum gewährten. „Der Bau“, ſagt Falkenſtein von Neſtern, die er in Niederguinea unterſuchte,

„iſt aus dürren Zweigen, troŒenen Gräſern und Laub hergeſtellt. Fm unteren Drittel führt eine runde Öffnung von etwa 9 em Durchmeſſer ins Fnnere, das bei einer Unterſuhung Ende Juli uns einmal zwei faſt flügge Junge finden ließ.“

Mancherlei Sagen über den Schattenvogel laufen um unter den Völkern, die ihn kennen; ſo glauben z. B. die Angolanexr, daß derjenige, welcher ſi<h mit dem Vogel in demſelben Gewäſſer bade, unfehlbar einen Hautausſ<hlag davontragen müſſe. Auch die Neger des Gazellenfluſſes beunruhigen ſeine Niſtſtände nicht.

Die lette Familie der Schreitvögel bilden die Fbiſſe (Ibidae), mittelgroße, anſprechend gebaute, in etwa 30 Arten über die ganze Erde verbreitete Schreitvögel mit ziemlich weichem, nur an der Spige hartem Schnabel von zweifach verſchiedener Geſtalt, deſſen gemeinſames Merkmal in einer vom Naſenloche bis zur Spitze verlaufenden Furche liegt, mäßig hohen Füßen, deren Vorderzehen dur eine kurze Spannhaut verbunden werden, ziemlich ſpizigen Flügeln, gerade abgeſtußtem Schwanze und reichem Gefieder. Sie zerfallen in zwei wohl umgrenzte Unterfamilien.