Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Allgemeines. Verbreitung. Weſen. Nahrung. Fortpflanzung 531

Die erſte dieſer Unterfamilien bilden die Jbiſſe im engeren Sinne (Ibidinae), verhältnismäßig kleine, aber kräftig gebaute Vögel mit mittellangem Halſe, kleinem Kopfe, ſhlankem, nicht beſonders ſtarkem, aber langem, ſichelförmig abwärts gekrümmtem, von der Wurzel nah der Spibe zu allmählih verdünntem, faſt walzenrundem Schnabel, deſſen Oberkiefer eine bis zur äußerſten Spiße gehende Längsfurche trägt, und deſſen Mundkanten ſtumpf, aber niht wulſtig ſind, hohen, ſchlanken Beinen, ziemlih langen Zehen, deren drei vordere dur eine leine Spannhaut vereinigt werden, und ſ{hmalen, flahgebogenen, an der Spige ſcharfen, unten ausgehöhlten Nägeln, deren mittlerer zuweilen kammartig gezahnt iſt, großen, breiten, zugerundeten Flügeln, unter welchen die zweite Shwinge die längſte zu ſein pflegt, und deren Afterflügel ſih dur< ſeine Kürze oder dur< Zerſchliſſenheit ſeiner Federn auszeihnet, kurzem, breit abgerundetem oder etwas ausgeſchnittenem, aus 12 Federn beſtehendem Schwanze und ziemlih derbem, gut ſhließendem Kleingefieder, deſſen Farben ſich über große Felder verteilen. Einige Arten fallen auf durch die Nacktheit des Geſichtes und Halſes, eigentümliche Bekleidung dieſer Stellen, verlängerte Hinterhalsfedern und dergleichen. Die Geſchlechter unterſcheiden ſih wenig, die Fungen merklih von den Alten; auh das Sommer- und Winterkleid kann ziemlih verſchieden ſein.

Die Jbiſſe, von welchen man etwa 24 Arten kennt, bewohnen vorzugsweiſe den warmen Gürtel aller Erdteile, einzelne Arten ſehr verſchiedene Länder, andere ein mehr beſchränktes Verbreitungsgebiet. Diejenigen, welhe im Norden leben, gehören zu den Wandervögeln, die übrigen ſtreihen. Sie hauſen in Sümpfen, Brüchen und Waldungen, ſind Tagvögel, fliegen mit Sonnenaufgang von ihren Schlafpläßen nah Futter aus, beſchäftigen ſi< am Tage, ruhen in den Mittagsſtunden, ſuchen nahmittags wiederum Nahrung und ziehen abends gemeinſchaftlih den Schlafbäumen zu, wandern auch nur in den Tagesſtunden, niht einmal in mondhellen Nächten. Sie gehen gut, mit gemeſſenen Schritten, niemals eigentlich rennend, ſondern ſtets ſhreitend, waten bis an den Leib ins Waſſer, {<hwimmen, wenn ihnen die Luſt ankommt oder die Not ſie zwingt, verhältnismäßig gut, fliegen ziemlich langſam, mit vielen Flügelſchlägen, auf welche dann längeres Gleiten folgt, ordnen ſich in die Keilform oder eine Linie, die ihrer Breite nah die Luft dur<ſ<hneidet, und ſ{<hweben vor dem Niederlaſſen. Jhre Stimme entbehrt des Wohlklanges und iſt immer dumpf und rauh oder kreiſchend, klagend und gellend, bei einzelnen Arten höchſt ſonderbar, bei keinem einzelnen Mitgliede der Familie wirklih anſprechend. Die Sinne ſtehen auf hoher Stufe; die geiſtigen Fähigkeiten räumen ihnen die erſte Stelle innerhalb ihrer Unterordnung ein. Alle ſind geſellig und vereinigen ſi< niht bloß mit den Artgenoſſen, ſondern auh mit fremdartigen Vögeln, ohne jedoch mit dieſen eine engere Verbindung einzugehen, mindeſtens ohne eine ſolche längere Zeit zu unterhalten, wogegen ſie unter ſi ſtets in Scharen oder doh paarweiſe zuſammen leben, gemeinſchaftlih brüten und wandern und auch in der Winterherberge in enger Verbindung bleiben. Diejenigen, welche ſich vorzugsweiſe an Flußmündungen oder am Meeresſtrande auſhalten, freſſen hauptſächlich Fiſche, Krebſe und Weichtiere, ſolche, welche am liebſten im Sumpfe leben, Fiſche, Lurche verſchiedener Art und kleines Waſſergetier. Während des Freilebens verſhmähen ſie wahrſcheinlich jede Pflanzennahrung; in der Gefangenſchaft aber nehmen ſie ausnahnmslos ſolche, insbeſondere Weißbrot, an. Das Neſt wird ſtets im Gezweige der Bäume oder Geſträuche errichtet, wohl auch das eines hier ſtehenden anderen Vogels in Beſiß genommen; das Gelege zählt 3—6 einfarbige Eier. Ob beide Gatten brüten, bleibt fraglih; wohl aber wiſſen wir, daß beide ſi<h an der Erziehung der Jungen beteiligen. Leßtere bleiben bis zum Flüggeſein im Neſte, werden aber auh na< dem Ausfliegen no< längere Zeit von den Alten geführt, ſhon weil ſie ſi deren Vereinen anſ<ließen. Fhre Ausbildung bedarf mindeſtens 2 Jahre; mehrere Arten \ceinen erſt im dritten Frühling ihres Lebens ſortpflanzungsfähig zu werden. Von natürlichen

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