Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

542 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; neunte Familie: Flamingos.

Rechtzeitig ausgehobene Neſtvögel gewöhnen ſi leicht an die Gefangenſchaft, au an allerlei Nahrung, pflanzliche ebenfo wie tieriſche, lernen ihren Herrn kennen, begrüßen ihn mit freudigem Schnabelgeklapper, wenn ſie ihn ſehen, können zum Aus- und Einfliegen gebracht und wegen ihres ſanften, friedfertigen Weſens unter allem Hofgeflügel gehalten werden.

Nach Reichenows und Gadows eingehenden Unterſuchungen gebührt den Fl amingos (Phoenicopteridae), die nah Fürbringer eine beſondere Sippſchaft (Phoenicopteri) bilden, von mir und anderen aber als Shwimmvögel betrachtet wurden, hier ihre Stelle. Der Leib der Flamingos iſt ſ<lank, der Hals ſehr lang, der Kopf groß, der Schnabel etwas länger als der Kopf, höher als breit, aber di> von der Mitte an unter einem ſtumpfen Winkel herabgebogen, ſein Oberkiefer viel kleiner, ſhmäler als der untere und, was beſonders beahtenswert, merkwürdig platt, ſcin Rand aber, wie der des unteren, mit Zähnen beſeßt. Man darf dieſen Schnabel mit einer jener Doſen vergleichen, die aus Muſcheln gefertigt werden; der Unterſchnabel würde dabei der eigentlihen Doſe, der Oberſhnabel dem Deel entſprechen. Dieſer iſt an der Wurzel mit einer ziemlih weichen Haut bekleidet, an der Spibe dagegen hart; bei jenem wird der Naum zwiſchen den beiden Kieferäſten dur eine weihe Wachshaut ausgefüllt. Die Beine ſind ungemein lang und dünn, ſeitlih zuſammengedrüdt, weit über die Ferſe hinauf na>t, ihre drei Vorderzehen ziemlich kurz und dur vollkommene, obwohl ſeicht ausgeſhnittene Shwimmhäute verbunden; die hocheingelenkte, bei einer Art verkümmerte Hinterzehe iſt kurz und ſ{<hwa<h. “Der Flügel, in wel{hem die zweite Schwinge die anderen überragt, iſt mittellang, der aus zwölf Federn gebildete Schwanz furz, das Kleingefieder diht und derb, dur< große Weiche und beſondere Farbenſchönheit ausgezeihnet. i

Man unterſcheidet nur eine Gattung mit ſe<s über die Alte Welt und Amerika 1 Verbreitete Arten in unſerer Familie. FJhre Lebensweiſe konnte no< keineswegs genügend erforſcht werden; ſo viel aber hat man erfahren, daß ſich die einzelnen Arten in ihren Sitten und Gewohnheiten gar nicht oder doh nur ſehr wenig unterſcheiden. Es genügt alſo, wenn wir die uns zunächſt angehende Art ins Auge faſſen.

Der Flamingo, Pflug-, Scharf- oder Schartenſ<näbler (Phoenicopterus roSenus, antiquorum, antiquus, europaeus, platyrhynchus, blythi und andersoni) iſt weiß, äußerſt zart und ſchön roſenrot überhaucht, ſein Dberflügel karminrot; die Schwingen ſind ſhwarz. Das Auge iſt gelb, der Augenring farminrot, der Schnabel an der Wurzel roſenrot, an der Spige ſ{<hwarz, der Fuß karminrot. Die Länge beträgt 120—130, die Breite 160—170, die Fittichlänge 39, die Shwanzlänge 14 em. Das Weibchen iſt bedeutend kleiner, höchſtens 110 cm lang no 155 cm breit. Bei den Jungen iſt das ganze Gefieder weiß, am Halſe grau, auf dem Oberflügel geſprenkelt. Erſt mit dem dritten Fahre geht dieſes Kleid in das des alten Vogels über.

Die Länder um das Mittelländiſhe und Schwarze Meer ſind Die Heimat des Flamingos. Von hier aus verbreitet er ſih ſüdlih über den Norden des Roten Meeres und anderſeits bis gegen die Jnſeln des Grünen Vorgebirges hin. Ebenſo tritt er in Mittelaſien an den großen Seen ziemli<h regelmäßig und an den Meeresküſten Südaſiens auf. Auffallend iſ ſeine Beſchränkung auf gewiſſe Örtlichkeiten. Nah den Berichten der älteren und neueren Forſcher erſcheint er alljährlih maſſenhaft in den größeren Seen Sardiniens