Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Schlangenhalsvogel. — Tölpel. 561

dieſe Scheu. Schon in früheſter Jugend benahmen ſie ſih angeſihts anderer Tiere mutig und fur<htlos; die Hähne und Truthühner auf dem Hofe wichen ihnen bald ehrfurchtsvoll aus, und auch die Hunde wagten ſich niht gern in ihre Nähe, weil ſie nie verfehlten, ihnen gelegener Zeit einen ſcharfen Hieb zu verſeßen. Als ſie erwachſen waren, gingen ſie tagtäglich zu den nächſten Teichen, um dort zu fiſchen, kehrten hierauf zurü>, flogen auf die hohen Spißen des Zaunes und blieben hier ſißen, entweder um ſih zu ſonnen oder um zu ſchlafen. Kälte ſchien ihnen höchſt unangenehm zu ſein, und um ihr zu entgehen, watſchelten ſie in die Kühe und ſtellten ſih in die Nähe des Feuers, kämpften auch mit dem Hunde oder ſelbſt mit dem Koche um den behaglihſten Plaß an dem Herde. Jm Sonnenſchein hingegen breiteten ſie Shwingen und Flügel, blähten alle Federn und ſchienen beglückt von der Wärme zu ſein. Gelegentlih wurden ſie ein paar Tage lang nicht gefüttert, nahmen dies aber ſehr übel und rannten dann kreiſhend im Hofe umher oder hieben nah den Dienern, die ſich in ihre Nähe wagten, gleichſam als wollten ſie lebtere an ihre Nachläſſigkeit erinnern. Der Schlangenhalsvogel benimmt ſih genau ebenſo.

Jn abgelegenen, von den Menſchen wenig beſuchten Gegenden ſind die Schlangenhalsvögel ſo wenig ſcheu, daß ihre Fagd kaum Mühe verurſacht. Man verſucht, die Schlafbäume zu erkunden, ſtellt ſih unter dieſen nahmittags an und erwartet die Ankunft der Vögel. Nach dem Schuſſe ſtürzen ſich die überlebenden ſämtlich wie tot in das Waſſer hinab, tauchen unter und erſcheinen nun hier und da mit dem Halſe wieder über der Oberfläche, wählen ſi< dann jedo<h gewöhnlih Stellen, wo Schilf oder Gezweige ſie möglichſt verbirgt. Auf ſ{hwimmende Schlangenhalsvögel zu ſchießen, iſt ein mißli<h Ding; man verſchwendet dabei ſehr viel Pulver und Vlei und hat doh nur ſelten Erfolg, weil der Leib gegen den Hagel eines Gewehres vollſtändig geborgen iſt und nur der dünne Hals ſich als Zielgegenſtand bietet. Aber auh dann, wenn man den Vogel ganz frei zum Schuſſe hat, iſt ex nicht leicht zu erlegen, denn ſein dites Gefieder beſißt eine erſtaunlihe Widerſtandsfähigkeit gegen Schrot.

Abgebalgt, niht etwa bloß gerupft, liefert der Schlangenhalsvogel, nah PechuelLoeſche, gar keinen übeln Braten.

Bei den Tölpeln (Sulinae), welche die dritte, etwa 9 Arten umfaſſende Unterfamilie der Scharben bilden, iſt der Shnabel mehr als kopflang und trennt ſi hinten 1n eine obere und untere Lage, ſo daß es ausſicht, als ob er aus drei Teilen zuſammengefügt wäre; die Füße ſind niedrig, aber ſtämmig, die Flügel ungemein lang, in ihnen die erſte Schwinge die längſte; der Schwanz, der aus zwölf Federn gebildet wird, ſpitt ſich keilförmig zu; Geſicht und Kehle bleiben na>t.

Der Tölpel oder weiße Seerabe (Sula bassana, alba, major und americana, Pelecanus bassanus und maculatus, Disporus bassanus), deſſen Schilderung für die Lebenskunde ſeiner Unterfamilie genügen darf, iſt mit Ausnahme der braunſhwarzen Shwingen erſter Ordnung weiß, auf Oberkopf und Hinterhals gelblich überflogen, in der Jugend auf der Oberſeite ſhwarzbraun, weiß gefle>t, unten auf lihtem Grunde dunkler gefle>t und gepunktet. Das Auge iſt gelb, der Schnabel bläulich, der Fuß grün, die na>te Kehlhaut ſhwarz. Die Länge beträgt 98, die Breite 190, die Fittichlänge 62, die Schwanzlänge 26 cm. Das Weibchen unterſcheidet ſi< dur<h etwas geringere Größe vom Männchen.

Alle Meere der nördlichen Erdhälfte vom 70. Grade der Breite an nah Süden hin bis gegen den Wendekreis beherbergen den Tölpel. Er iſt häufig um Jsland und die Faröer,

Brehm, Tierleben. 3. Auflage. VI. 36