Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

602 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; ſe<zehnte Familie: Entenvögel.

gegenſeitig zu behelligen. Eine einmal geſchloſſene Che währt für die ganze Lebenszeit. Das Männchen beweiſt ſeinem Weibchen gegenüber unwandelbare Treue, hilft zwar nicht brüten, dient aber ſpäter den Jungen zum Führer und der ganzen Familie als Wächter. Die meiſten Arten verſammeln ſi< im Frühlinge ihrer betreffenden Heimat an ſicheren, ſelten betretenen Orten, z. BV. in ausgedehnten, pflanzenreichen Sümpfen, und erbauen hier einzeln auf kleinen Fnſeln oder Schilfkufen große kunſtloſe Neſter aus Pflanzenſtoffen verſchiedener Art, die innen mit Daunen ausgekleidet werden; einzelne wählen Bäume, und zwar Höhlungen wie Aſtgabeln zur Anlage der Neſter, benußen in leßterem Falle auh einen Naubvogel- oder ähnlichen Horſt und richten ihn in der ihnen paſſend erſcheinenden Weiſe her. Das Gelege enthält 6—12 eigeſtaltige, ſtaxtſchalige, mehr oder weniger glanzloſe, einfarbige Eier. Nach etwa vierwöchiger Bebrütung entſchlüpfen die in ein weiches, ſchönes, gräuliches Daunenkleid gehüllten Fungen und ſpringen, wenn ſie auf Bäumen geboren wurden, von oben hinab auf den Boden. Sie laufen vom erſten Tage ihres Lebens an raſh und gez wandt, wiſſen ſih ebenſo im Waſſer zu benehmen und beginnen nun unter Führung der Alten ihre Nahrung zu ſuchen. Sie entwi>eln ſih ſo raſch, daß ſie bereits nah ungefähr 2 Monaten, wenn auch nicht die volle Schönheit und Größe der Alten erreicht haben, ſo doh ihnen ähneln und ſelbſtändig geworden ſind; demungeactet verweilen ſie noh lange in Geſellſchaft ihrer Eltern und bilden mit dieſen eine enggeſchloſſene Familie.

Während des Zuges, der des Nachts ſtattfindet, verirren ſie ſich, wenn ſie bei Nebel ſehr tief fliegen, manchmal bis in Ortſchaften. So erſchienen, wie E. Debes mitteilt, zu Ende der ſechziger Fahre im Spätherbſte einmal eine Menge Wildgänſe abends auf der Promenade in Gotha, weil ſie, zu tief ziehend, in die Kaſtanienbäume geraten waren. Geblendet vom Lichte der Straßenlaternen flatterten und liefen die geängſtigten laut ſchreienden Tiere in den Anlagen umher und wurden von zufällig vorübergehenden Leuten eifrig verfolgt. Bald aber hatten ſich die ſeltenen Gäſte von ihrer Beſtürzung erholt und verſ<hwanden ſpurlos nah einigen Minuten.

Alle Gänſe find vorzugsweiſe Pflanzenfreſſer. Sie weiden mit Hilfe ihres harten, ſcharfſhneidigen Schnabels Gräſer und Getreidearten, Kohl und andere Kräuter vom Boden ab, ſchälen junge Bäumchen, pflücken ſi< Blätter, Beerentrauben, Schoten oder Ähren, enthülſen die leßteren raſh und geſchi>t, um zum Kerne zu gelangen, gründeln in ſeichten Gewäſſern ebenfalls na< Pflanzenſtoffen und verſhmähen keinen Teil einer ihnen zuſagenden Pflanze. Einzelne Arten nehmen au< Kerbtiere, Muſcheln und kleine Wirbeltiere zu ſih. Da, wo ſie maſſenhaft auftreten, können ſie Schaden anrichten, nußen aber auh wieder dur vortreffliches Wildbret und reiches Federkleid. Allen Arten wird eifrig nachgeſtellt, insbeſondere während der Mauſerzeit, die auh viele von ihnen einige Wochen lang flugunfähig maht. Außer vom Menſchen werden ſie von größeren Adlern, mehreren vierfüßigen Raubtieren und in den Gleicherländern von kräftigen Kriechtieren insbeſondere von Krokodilen bedroht. Die Brut iſt noh größeren Gefahren ausgeſeßt, wird aber von den Eltern tapfer und waer verteidigt.

Wenn man bedenkt, daß die meiſten Gänſearten ſi< ſelbſt dann no< zähmen laſſen und zur Fortpflanzung ſchreiten, wenn man ſie alt einfing, muß es uns wundernehmen, daß bisher nur wenige Arten zu Haustieren gemacht wurden, und daß von diefen nur zwei Arten weitere Verbreitung gefunden haben. Gerade auf dieſe Vögel ſollte man ſein Augenmerkt richten; denn jede einzelne Gans8art belohnt die auf ſie verwendete Mühe rei{hli<.

Die Graugans, Wild-, Stamm-, März- oder He>gans (Anser ferus, cinereus, vulgaris, sylvestris, palustris, Anas anser), der wir unſere Hausgans verdanken,