Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

604 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; ſehzehnte Familie: Entenvögel.

iſt, denkt ſie an die Abreiſe, zieht aber, anfänglih wenigſtens, ſehr gemächlich ihres Weges dahin, gleichſam nux, um der nah ihr erſcheinenden Saatgans Plaß zu machen. Auf der Neiſe ſelbſt vereinigt ſie ſich ſelten zu zahlreicheren Scharen; in den meiſten Fällen halten ſih nur die Eltern mit ihren erwachſenen Kindern zuſammen,

Jn früheren Fahren brüteten die Graugänſe an allen größeren ſtehenden Gewäſſern unſeres Vaterlandes; gegenwärtig trifft man noh einzelne Paare in den ausgedehnten Brüchen Nord- und Oſtdeutſchlands, die meiſten wohl in Pommern und Oſtpreußen an. Sümpfe, die hier und da mit ausgedehnten Waſſerflächen abwechſeln oder ſie umſchließen, einen moorigen Boden haben und {wer zugängliche, mit Gras, Rohr und Geſträuch bewachſene Jnſeln umgeben, werden bevorzugt. Auf dieſen Fnſeln verſammeln ſich bei ihrer Ankunft die Paare, um auszuruhen, und errichten daſelbſt ſpäter die Neſter.

Die Nachkommen der Graugans, unſere Hausgänſe, haben wenig von dem Weſen und den Eigentümlichkeiten ihrer Stammeltern verloren; leßtere tragen ſih aber, wie alle wilden Tiere, ſtolzer, bewegen ſi<h raſher und machen ſo einen etwas verſchiedenen Eindru> auf den Beobachter. Sie gehen ſehr raſh und zierlich, viel leichter und behender als die Hausgans, ſ<hwimmen gut, tauchen bei großer Gefahr in gewiſſe Tiefen, benehmen ſich jedo<h auf dem Waſſer minder gewandt als auf dem Lande. Der Flug iſt recht gut, zwar niht ſo leicht und ſ{hön wie der verwandter Arten, aber doh ausdauernd und immerhin raſh genug. Beim Aufſtehen verurſacht der heftige Flügelſchlag ein polterndes Getöſe, beim Niederlaſſen vernimmt man ein ähnliches Geräuſch, zu welchem ſih das Rauſchen des Waſſers geſellt, wenn die Gans ſih auf deſſen Spiegel niederläßt. Wenn ein Paar kürzere Entfernungen durhmeſſen will, erhebt es ſich ſelten in bedeutendere Höhen, wie es ſonſt regelmäßig geſchieht; das Weibchen pflegt dann dem Männchen vorauszufliegen, während leßteres bei der Wanderung ebenſogut wie jenes die Spite der Keilordnung einnimmt. Die Lockſtimme iſt ein lautes „Gahkahkakgak“ das oft raſh nacheinander wiederholt wird und, wenn ſih die Geſchlechter gegenſeitig antworten, in „Gihkga>“ übergeht; die Unterhaltungslaute klingen wie „tattattattattat“, die Ausrufe hoher Freude wie „täng“; im Schre>e hört man das langgezogene „Kähkahkak kahkak fatkakakahkat“; im Zorne ziſchen beide: alles genau ebenſo, wie wir es von der Hausgans zu hören gewohnt ſind.

Das Gebaren beweiſt den ſcharfen Verſtand der Graugans. Vorſichtig und mißtrauiſ< zeigt ſie ſih ſtets; nur am Brutplaßze hält ſie bei Ankunft eines Menſchen länger aus als ſonſt, und die Liebe zur Brut läßt ſie ſelbſt augenſcheinliche Gefahren vergeſſen; in der Regel aber unterſcheidet ſie den Schüßen do< ſehr wohl von dem Hirten oder Bauer, oder den gefährlihen Mann von dem ungefährlichen Weibe. Verfolgung macht ſie bald ungemein vorſichtig, und eine ſ{hlimme Erfahrung wird nie wieder vergeſſen. Eigentlich geſellig kann man ſie niht nennen. „Niemals“, ſagt Naumann, „iſ uns ein Beiſpiel vorgekommen, daß cine Graugans mit anderen Gänſearten geflogen wäre, ja der Saatgans ſcheint ſie ganz beſonders abhold; denn wenn dieſe im September in der Gegend anlangen, wo Graugänſe brüteten, machen ihnen leßtere ſogleih Plaß und verſhwinden dann von da. Nur die Hausgänſe dürfen ſih ihrer Zuneigung erfreuen, indem ſie auf den Weidepläßen ſich diejen oft nähern, ja einzeln ſih niht ſelten unter ſie miſchen. Von ſolchen iſt es man<mal vorgekommen, daß ſie ſi<h mit der zahmen Herde nah dem Dorfe treiben ließen und erſt entflohen, als fie eben hineintreten ſollten, und da ſie immer wieder kamen, das Eintreiben zwar ohne Erfolg, doh mehrere Tage nacheinander wiederholt verſucht werden konnte. Ebenſo hat es ſi ereignet, daß ein einzelnes Männchen der wilden in der Herde der zahmen eine Liebelei anknüpfte, Gehör fand, ſeine Geliebte öfter beſuchte und endlih ſih mit ihr begattete.“ So wenig nun die Graugans ſi< mit fremdem Geflügel befaßt, ſo treu halten die Familien zuſammen. Vis zum Frühjahre trennen ſi dieſe niht, wandern