Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Ningelgans: Verbreitung. Weſen. Stimme. Nahrung. Fortpflanzung. 615

heimiſch, brütet an der Boganida niht ſelten, wandert ſchon dur< das Obthal und, ebenſo wohl allen großen ſibiriſchen Flüſſen entgegen, in zahlreihen Scharen nah Süden, dann und wann, immer aber äußerſt ſelten, auh auf der nordöſtlich-ſüdweſtlihen Heerſtraße dur< Weſteuropa und überwintert am Kaſpiſchen. einzeln wohl auh am Schwarzen, ſelbſt am Mittelländiſchen Meere, am häufigſten vielleiht an den Steppenſeen Turkiſtans.

Die Ringelgans, auf deren Lebensſcilderung ih mich beſchränken muß, iſt ebenſo wie ihre Verwandten ein Küſtenvogel, der das Meer ſelten aus den Augen verliert und nur ausnahmsweiſe, größeren Strömen folgend, das Binnenland beſucht. Vor den meiſten ihrer mehr im leßteren heimiſhen Verwandten zeichnet ſie ſi<h aus dur Zierlichkeit und Anmut, Geſelligkeit und Friedfertigkeit, ohne jenen an Sinnesſchärfe na<hzuſtehen. Sie geht auf feſtem wie auf ſ{lammigem Boden gleih gut, ſhwimmt leicht und ſchön, taucht vortrefflih, jedenfalls beſſer, fliegt auh leichter und gewandter als alle übrigen Gänſe, nimmt aber niht ſo regelmäßig wie dieſe im Fluge die Keilordnung an, ſondern zieht meiſt in wirren Haufen durch die Luft. Beim Auſſtehen größerer Scharen vernimmt man ein Gepolter, das fernem Donner gleicht, bei geradem Fluge in höheren Luftſchichten ein deutlich hörbares Sauſen, das ſchärfer als das der größeren Gänſe, aber dumpfer als das der Enten klingt. Die Stimme iſt ſehr einfach: der Loton beſteht aus einem {wer wiederzugebenden Rufe, der etwa wie „knäng“ klingt; der Unterhaltungslaut iſt ein rauhes und heiſeres „Kroh“, der Ausdru> des Zornes wie gewöhnlich ein leiſes Ziſchen. Nah Art ihrer Verwandten lebt ſie nur mit ihresgleihhen geſellig und hält ſi<h, wenn ſie gezwungen mit anderen vereinigt wird, ſtets in geſchloſſenen Haufen. Eine von dieſen zufällig abgekommene Ringelgans fliegt ängſtlich umher, bis ſie wieder andere ihrer Art findet, und fühlt ſih niht einmal unter anderen Meergänſen behaglih. Bringt man ſie mit Verwandten zuſammen, ſo zeigt ſie ſich gegen dieſe äußerſt friedfertig, hauptſächhlih wohl deshalb, weil ſie ſih ihrer Shwäche bewußt iſt und ein Gefühl von Furcht niht verbannen kann. Dem Menſchen gegenüber bekundet ſie ſi<h als ein Kind des hohen Nordens, das ſelten von dem Erzfeinde der Tiere heimgeſucht wird. Sie iſ weit weniger ſcheu als die übrigen Gänſe und wird erſt na< längerer Verfolgung vorſichtig. Fu der Gefangenſchaft beträgt ſie ſi< anfänglih ſehr ſhüchtern, fügt ſi< aber bald in die veränderten Verhältniſſe und gewinnt na< und nah zu ihrem Pfleger warme Zuneigung, kommt auf deſſen Nuf herbei, bettelt um Futter und kann, wenn man ſih mit ihr abgibt, dahin gebracht werden, daß ſie wie ein Hund auf dem Fuße folgt.

Hinſichtlich der Nahrung unterſcheiden ſi< die Meergänſe inſofern von den unſerigen, daß ſie neben Gras und Seepflanzen au< Weichtiere freſſen. Fm hohen Norden werden ſie wahrſcheinli<h alle dort wachſenden Pflanzen weiden; bei uns bevorzugen ſie friſches Wieſengras ähnlichen Stoffen. Gefangene gewöhnen ſi< an Körnerfutter, müſſen aber, wenn ſie ſih länger erhalten ſollen, auh andere Pflanzenſtoffe, namentlih Grünzeug verſchiedener Art, mit erhalten.

Schon die älteren Seefahrer erwähnen, daß die Ringelgänſe häufig auf Spißbergen niſten; Walfänger und andere Nordpolfahrer fanden ihre Brutſtätten auf allen Eilanden des höchſten Nordens, die ſie betraten. „Dieſe häufigſten Gänſe Spißbergens“, ſagt Malmgren, „brüten ſehr zahlreih auf der Weſt- und Nordküſte der Jnſel, auf dem Feſtlande wie auf den Schären, vorzugsweiſe auf ſolhen, wo Eidergänſe in größeren Mengen niſten. Das aus Waſſerpflanzen und deren Blättern ſehr unkünſtlih zuſammengebaute Neſt wird oſt diht neben dem der Eiderente angelegt und von dieſer häufig beraubt. Das Gelege, das erſt im Juli vollzählig zu ſein pflegt, enthält 4—8 dünnſqchalige, glanzloſe Eier von etwa 72 mm Längs-, 47 mm Querdurchmeſſer und trübe grünlich- oder gelblihweißer Färbung. Beide Gatten eines Paares gefallen ſi vor der Brutzeit in gaukelnden Flugkünſten,