Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

622 Zehnte Drdnung: Stoßvögel; ſehzehnte Familie: Entenvögel.

Eine indiſhe Sage berichtét, daß zwei Liebende in Gänſe verwandelt und verdammt worden wären, die Nacht fern voneinander auf den entgegengeſeßten Flußufern zu verbringen, und nun einander beſtändig zurufen: „Tſchacwa, ſoll i<h kommen?“ — „Nein, tſha>wi.“ — „Tſcha>wa, ſoll ih niht kommen?“ — Nein, tſcha>wi.“ Der betreffende Vogel iſ die Roſtgans, Zimt- oder Zitrongans, die Braminengans der Jnder, Kaſarka oder Turpan der Ruſſen (Tadorna casarca und rutila, Casarca rutila, Anas casarca, rutila und aurantia, Vulpanser rutila), Vertreter der Gattung der Höhlengänſe (Tadorna), als deren Merkmale die geringe Größe, der kleine Shhnabelzahn, die Hornbede>ung der Füße und die Faltenbildung des Schnabels, die dieſe Gattung den Enten nähern, angeſehen werden. Das Gefieder der Roſtgans iſt vorherrſchend hoch roſtrot, die Wangengegend gelbweiß, der Hals roſtgelb, ein ſhmales, jedo<h nur im Hochzeitskleide bemerkliches Band am Unterhalſe grünſchwarz; die oberen und unteren Flügelde>federn ſind weiß, die Spiegelfedern ſtahlgrün, die Bürzelgegend, die oberen Schwanzde>federn, die Schwingen und Steuerfedern glänzend ſhwarz. Das Weibchen unterſcheidet ſih dur geringere Größe, minder lebhafte Färbung Und weißeres Geſicht von dem Männchen; auch fehlt ihm gewöhnlih das ſ<warze Halsband. Das Auge iſt hellbraun, der Schnabel ſ{hwarz, der Fuß bleigrau. Die Länge beträgt 62, die Breite 116, die Fittichlänge 36, die Schwanzlänge 14 cm.

Mittelaſien iſt der Brennpunkt des Verbreitungskreiſes der Roſtgans. Nach Oſten hin dehnt ſih ihre Heimat bis zum oberen Amur, nah Weſten hin bis Marokko. Beſonders häufig tritt ſie in Turkiſtan, Südrußland, in der Dobrudſcha und Bulgarien, Transkaukfaſien und Kleinaſien auf. Gelegentlich ihres Zuges beſucht ſie ſehr regelmäßig Griechenland, Süditalien und einzeln Spanien, verbringt hier au<h wohl den Winter, wandert aber gewöhnlih weiter. Jn ganz Fndien iſt ſie wohl bekannt, da ſie als Wintergaſt in allen Teilen der Halbinſel vorkommt; in Ägypten gehört ſie auf den Seen wenigſtens niht zu den Seltenheiten; in Tunis, Algerien und Marokko ſoll ſie in manchen Fahren ebenſo häufig auftreten wie in Fndien. Nach Norden und Nordweſten hin verfliegt ſie ſih zuweilen, und ſo gelangt ſie denn auh na< Mitteldeutſchland; doh gehört ihr Erſcheinen hier immer zu den ſelteneren Ausnahmen. Sie wandert ſpät weg und erſcheint ſchon zeitig im Frühjahre wieder in ihrer Heimat, der Steppe. Hier findet ſie ſih geeigneten Ortes überall, in

“der Ebene wie im Hochgebirge, bis zu 3000 m Höhe oder bis zur Schneegrenze, an Seen, Flüſſen, Strömen wie am kleinſten Bächlein. Wer die Charaktervögel der Steppe aufzählt, darf ſie niht vergeſſen. Zur Belebung der Höhen wie der grünen Thäler der leßbteren trägt ſie mehr als jeder andere Vogel bei.

Wer die Roſtgans einzig und allein nah ihrer geringen Größe beurteilt, ſieht in ihr eine Ente; wer ſie kennt, eine Gans. Abgeſehen davon, daß ſchon die Färbung ihres Gefieders auf ihre und anderer Gänſe Zuſammengehörigkeit deutet, ſtimmen Lebensweiſe, Gebaren, Gang. Flug, Shwimmfertigkeit, Stimme, ſelbſt das Brutgeſchäft mit den Eigenſchaften, Sitten und Gewohnheiten der Gänſe, niht aber mit denen der Enten überein. Paarmweiſe, die dem Geſchlehte der Gänſe eigne eheliche Treue gegenſeitig wahrend, lebt ſie weniger auf als an dem Waſſer, Sümpfe und Moräſte entſchieden meidend und dafür Matten mit ſaftigem Graſe beſtandene Wieſen, mit ſproſſendem Getreide bede>te Felder aufſuchend, um hier nah Art der Gänſe zu weiden. Tieriſche Nahrung verſ<hmäht ſie allerdings nicht, zieht ihr aber pflanzliche entſchieden vor und verkümmert, wenn man ihr in der Gefangenſchaft ausſcließli<h ſolche reiht. Sie trägt ſih aufgerichtet, hält den Kopf hoch, wie andere Gänſe thun, geht gut, mit langſamen, gemeſſenen Schritten, die zu ſehr förderndem Laufe beſchleunigt werden können, niemals aber watſchelnd wie die Enten, ſ{<wimmt mit vorn tiefer als hinten eingetauhtem Körper und fliegt mit langſamen, nicht mit ſ{hwirrenden Flügelſchlägen, vor dem Niederſeßen hwebend und anmutige Wendungen