Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

498 Zweite Ordnung: Panzerechſen; einzige Familie: Krokodile.

betrahtet werden kann. Das eine Ufer des Fluſſes iſt infolge der Überſhwemmungen meiſt dürr und ſandig, das andere höher und mit ho<hſtämmigen Bäumen bewachſen; hin und wieder begrenzen auh Bäume den Fluß zu beiden Seiten. Die großen Vierfüßer des Landes, Tapix, Pekari und Jaguar, haben Gänge in die Uferdi>ichte gebrochen, dur< welche ſie, um zu trinken, an den Strom gehen. Da ſie ſih niht viel daraus machen, wenn ein Boot vorbeikommt, hat man den Genuß, ſie langſam am Ufer dahinſtreichen zu ſehen, bis ſie dur eine der ſhmalen Lü>en verſchwinden. Man ſieht ſi in einer neuen Welt, einer wilden, unbezähmten Natur gegenüber. Bald zeigt ſich am Geſtade der Jaguar, bald wandelt der Hokko langſam an der Uferhe>e hin; Tiere der verſchiedenſten Klaſſen löſen einander ab. „Es iſt wie im Paradieſe“, ſagte unſer Steuermann, ein alter Indianer aus den Miſſionen. Und wirkli alles erinnert hier an den Urzuſtand der Welt, deſſen Unſchuld und Glü> uralte, ehrwürdige Überlieferungen allen Völkern vor Augen ſtellen; beobachtet man aber das gegenſeitige Verhalten der Tiere genau, ſo zeigt ſih, daß ſie einander fürhten und meiden: das goldene Zeitalter iſt vorbei, und in dieſem Paradieſe dex amerikaniſchen Wälder wie allerorten hat lange traurige Erfahrung allen Geſchöpfen gelehrt, daß Sanftmut und Stärke ſelten beiſammen ſind.

„Wo das Geſtade eine bedeutende Breite hat, bleiben die Gebüſchreihen weiter vom Strome weg. Auf dieſem Zwiſchengebiete ſieht man Krokodile, oft ihrer 8—10, auf dem Sande liegen. Regungslos, die Kinnladen unter rechtem Winkel aufgeſperrt, ruhen ſie nebeneinander, ohne irgend ein Zeihen von Zuneigung, wie man ſie ſonſt bei geſellig lebenden Tieren bemerkt. Der Trupp geht auseinander, ſobald er vom Ufer aufbricht, und doh beſteht ex wahrſcheinlich nur aus einem männlichen und vielen weiblichen Tieren; denn die Männchen ſind ziemlich ſelten, vielleicht weil ſie in der Brunſtzeit miteinander kämpfen und ſi ums Leben bringen. Dieſe gewaltigen Kriechtiere ſind ſo zahlrei, daß auf dem ganzen Stromlaufe faſt jeden Augenbli> ihrer 5—6 zu ſehen waren, und doch fing der Apure erſt kaum merklich an zu ſteigen, und Hunderte von Krokodilen lagen alſo noch ir dem Schlamme der Savanne begraben.“

Auch der Fluß Neveri wimmelt von dieſen Ungeheuern, und zwar no< in der Nähe ſeiner Mündung; ſie wagen ſih ſogar, beſonders bei Windſtille, bis auf die hohe See hinaus. „Man ſieht leiht ein“, fährt unſer Forſcher fort, „daß ein Tier, deſſen Körper in einem Panzer ſte>t, für die Schärfe des Salzwaſſers niht ſehr empfindlich ſein kann. Solche Beobachtungen werden aber für die Geologie von Bedeutung bezüglich des auffallenden Durcheinanderliegens von verſteinerten See- und Süßwaſſertieren.

„Vier Uhr abends hielten wir an, um ein totes Krokodil zu meſſen, das der Strom ans Ufer geworfen hatte. Es war nur 5,24 m lang. Einige Tage ſpäter fand Bonplanè ein anderes männliches, das 6,8 m maß. Unter allen Zonen, in Amerika wie in Ägypten, erreichen dieſe Tiere dieſelbe Größe. Auch die zweite Art, die im Drinoko ſo häufig vorfommt, iſt kein Kaiman oder Alligator, ſondern ein wahres Krokodil (Crocodilus intermedius), mit Füßen, die an den äußeren Rändern gezähnelt ſind, dem Nilkrokodile ähnlich, der .Araue‘ der Tamanaken.

„Das Krokodil im Apure bewegt ſih ſehr raſh und gewandt, wenn es angreift, {hleppt ſih dagegen, wenn es dur< Zorn und Hunger niht aufgeregt wurde, langſam wie ein Salamander dahin. Beim Laufen vernimmt man ein Geräuſch, das von der Reibung ſeiner Hautplatten gegeneinander herzurühren ſcheint. Oft hörten wir am Ufer dieſes Rauſchen der Platten ganz in der Nähe. Es iſt nicht wahx, daß die alten Krokodile, wie die Fndianer behaupten, gleich dem Schuppentiere ihre Schuppen und ihre ganze Rüſtung ſollen aufrichten können; doh krümmen ſie beim Laufen den Rüden und erſcheinen hohbeiniger als in der Ruhe. Sie bewegen ſih allerdings meiſtens geradeaus oder vielmehr wie ein