Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

_Großkopfſchildkröte. — Landſchildkröten: Allgemeines. 561

12 Schilde aufzuweiſen hat. Von den übrigen Hals8bergern (Kryptodiren) unterſcheiden ſie ſih dur Krallen tragende Geh- oder Schwimmfüße, durch den Mangel der rippenförmigen Fortſäße an der knöchernen Naenplatte und beſonders von den Großkopfſchildkröten/ ihren im Gerippe nächſten Verwandten, dur vorn ausgehöhlte Shwanzwirbel.

Weitere gemeinſame Merkmale der Familie ſind der vollſtändig in die Schale nah rü>wärts einziehbare Hals und Kopf ſowie der Umſtand, daß die Finger- und Zehenglieder Gelenktöpfe und die Zehen der Füße 4 oder 5 Krallen tragen.

Landſchildkröten leben mit Ausnahme Auſtraliens und Neuguineas in allen heißen und gemäßigten Teilen der Erde.

Die 20 Gattungen mit ihren 115 Arten, die G. A. Boulenger dieſer Familie zuweiſt, bilden nah dieſem Gewährsmanne eine nahezu ununterbrochene Reihe von reinen Waſſertieren bis zu aus\<ließli< auf ein Landleben eingerichteten Schildkröten. Wir ſtellen in den folgenden Schilderungen die auf das Leben im Waſſer angewieſenen Arten voran, laſſen ihnen die Miſchformen folgen und betrachten zuleßt die eigentlihen Landſchildkröten im engeren Sinne.

Von den meiſten früheren Forſchern wurden die Landſchildkröten mit flah gewölbtem Rückenſchilde und kurzen Schwimmfüßen in einer beſonderen Unterfamilie vereinigt, obwohl ſih die Trennung von den nur auf dem Lande lebenden Arten der Familie, wie geſagt, nicht dur<führen läßt. Dagegen bietet die Lebensweiſe der ſogenannten Süßwaſſerſchildkröten ſo viel Übereinſtimmendes, daß den nunmehr folgenden Gattungen immerhin eine allgemeine Schilderung vorausgehen mag.

„Wer die Schildkröten in ihrer Mannigfaltigkeit ſtudieren und ſie täglih im Freien beobahten will“, ſagt D. F. Weinland, „muß Nordamerika beſuchen, das Schildkrötenland der Erde, wo ſie in zahlreichen Arten Teiche und Flüſſe, Wald und Thal beleben, und wo der Kundige ihr Ausſterben noch lange niht zu befürchten hat.

„Wenn der europäiſche Naturforſcher dort etwa in dem Deutſchland fo ähnlichen Neu-England an einem warmen Sommernachmittage einen Spaziergang durch die \<höne Landſchaft macht, ſo wird er umſonſt nach den Eidechſen ſpähen, die in Deutſchland an jedem warmen Raine zu ſeinen Füßen raſcheln, wird er keine Blindſchleichen entde>en, und wenn er no< ſo viel Steine umkehren ſollte; führt ihn aber ſein Weg zu einem fleinen See, zu einem langſam fließenden Wieſenbache, ſo findet er da plötlich die Hülle und Fülle für ſeine Wißbegierde. Was iſt wohl das eigentümliche, freisrunde, thalergroße, braune Geſchöpf das auf jenem Teichroſenblatte ſißt? Er tritt ſchnell näher; aber wie ein Blig iſt es hinab von dem ſ{wimmenden Blatte in das fühle Waſſer. Sehnſüchtig verfolgt er es mit ſeinen Bli>en und gewahrt endli<h ein niedliches Schildkrötchen das auf dem Grunde hurtig dahinſchreitet und im nächſten Augenbli>e ſi<h im Schlamme oder unter Waſſerpflanzen verbirgt. Wohl mag es eine Stunde währen, bevor es wieder zum Vorſchein kommt, um zu atmen, und unſer Naturforſcher muß, wie der Jäger auf dem Anſtande, jede Bewegung, jedes Geräuſch vermeiden. Da ſieht er endlih hier und dort ein Köpfchen aus dem Waſſerſpiegel hervortauchen; lebhaft glänzen die klugen, ſchwarzen Äuglein, und langſam rudert das Tier, faſt ohne das Waſſer zu kräuſeln ans Land heran und eben auf die Stelle zu, wo ſein eifriger Beobachter ſit: denn alle ſeeliſh niedrig ſtehenden Tiere erkennen die Gegenwart eines Menſchen oder eines anderen belebten Weſens nur an deſſen Bewegungen. (Dies iſt eine Folge des geringen Anpaſſungsvermögens ihres Auges wird aber nicht bloß bei ihnen, ſondern in der Regel auh bei höher ſtehenden Tieren beobachtet.) Eine Schildkröte würde im Freien vom Waſſer aus ebenſo leicht auf die dargebotene Hand ſteigen, wie auf den Stein oder die Erde

daneben, vorau3geſeßt, daß man ſi< vollkommen ruhig verhält (und daß ihr Geruchsſinn Brehm, Tierleben. 3. Auflage. VIL 36