Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

604 Tritte Ordnung: Schildkröten; ſechſte Familie: Meerſchildkröten.

Wie es ſcheint, fällt das Verbreitungsgebiet der Biſſa ſo ziemlich mit dem der Suppenſchildkröte zuſammen. Auch ſie bewohnt die zwiſchen den Wendekreiſen liegenden und die ſubtropiſchen Meere beider Halbkugeln und tritt namentli<h im Karibiſchen Meere und um Ceylon, an den Malediven und in der Suluſee häufig auf. Gefangen oder beobachtet wurde ſie an vielen Stellen längs der atlantiſhen Küſte Amerikas, von den ſüdlichen Vereinigten Staaten an bis Santa Roſa unterhalb Montevideo, am Vorgebirge der Guten Hoffnung, im Kanale von Moçambique, im Roten“ Meere, an vielen Stellen der oſtindiſchen und malayiſchen Küſten, in der Sunda- und Bandaſee, dem Chineſiſchen und Japaniſchen Meere, in der Auſtraliſchen See und an der Weſtküſte Mittelamerikas.

Sn ihrem Auftreten und Gebaren, ihrer Lebensweiſe, ihren Sitten und Gewohnheiten ſtimmt, ſoviel uns bekannt, die Biſſa mit der Suppenſchildkröte im großen und ganzen überein. Sie iſt aber ein Raubtier in des Wortes vollſter Bedeutung, verſ<hmäht Pflanzennahrúng gänzlih, hält ſi< ausſcließli<h an tieriſhe Stoffe und ſoll ſi ſelbſt großer Tiere zu bemächtigen wiſſen. Laut Catesby erzählen die amerikaniſchen Fiſcher, daß man oft große, von ihr halb zerbiſſene Muſcheln finde. Neben Weichtieren bilden wahxrſcheinlih Fiſche einen Hauptteil der Nahrung unſeres Tieres, deſſen Schwimmſertigfeit auh den Fang gewandterer Arten glaublih erſcheinen läßt.

Die Fortpflanzung entſpricht wohl in jeder Beziehung der anderer Seeſchildkröten. Jhre Eier werden ebenfalls im Sande der Küſte und zwar in denſelben Monaten wie die der Suppenſchildkröte abgelegt, und gleih der leßteren kehren die Biſſaſchildkröten immer wieder zu den Stellen zurü>, an welchen ſie geboren wurden. Jm Fahre 1826 wurde, laut Sir Emerſon Tennent, eine Biſſa in der Nähe von Hambangtotte ge: funden, die in einer ihrer Floſſen einen Ring trug, den ihr 30 Jahre früher ein hollän=diſcher Offizier genau an derſelben Stelle beim Eierlegen eingeheftet hatte.

Dieſe treue, um niht zu ſagen hartnä>ige Anhänglichkeit der Tiere an den Ort ihrer Geburt hat die beflagenswerte Folge, daß ſie in erſichtliher Weiſe abnehmen. Denn au ihnen ſtellt der Menſch. mit Unerbittlichkeit und Rükſichtsloſigkeit nah. Fhr Fleiſ<h wird zwar nux von den Eingeborenen der von ihr beſuhten Gelände, niht aber von Europäern gegeſſen, weil es Durchfall und Erbrechen verurſachen oder Beulen und Geſ<würe hervorrufen, dagegen nah Anſicht der JFndianer und Amerikaner auh wieder vor anderen Krankheiten bewahren ſoll; allein man fängt auch die Viſſa weder des Fleiſches, noch der nah Klunzingers Anſicht faden, nach anderer Meinung höchſt wohlſ<me>enden Eier, ſondern des Schildkrotes oder Schildpattes wegen, von welchem eine ausgewachſene 2—6 kg liefern kann. Auch bei Gewinnung dieſes koſtbaren Handelsgegenſtandes werden abſcheulihe Grauſamkeiten verübt. Das Patt löſt ſi<h nur, wenn es bedeutend erwärmt wird, leiht von dem Rückenpanzer ab; die beklagen8werte Schildkröte wird alſo über einem Feuer aufgehängt und ſo lange geröſtet, bis jene Wirkung erzielt worden iſt. Die Chineſen, die einſahen, daß das Schildkrot durh trotene Wärme leicht verdorben werden fann, bedienen ſich gegenwärtig des kochenden Waſſers zu dem gleichen Zwede. Nach überſtandener Qual gibt man die Biſſa wieder frei und läßt ſie dem Meere zulaufen, da man glaubt, daß ſih das Patt wieder erzeuge. Möglich iſt es wohl, daß eine derart geſhundene Schildkröte noch fortlebt; ſ<hwerlih aber wird ſie mehr als einmal gemartert wer: den; denn ſo umfaſſend dürfte die Erſazſähigkeit des Tieres denn doh niht ſein, daß ihr Schild ſi mit neuen, für den Handel brauchbaren Platten bededen ſollte. Die Möglichkeit einer ſolchen Ergänzung dürfen wir heute freilich niht mehr leugnen, ſeitdem H. Gadow nachgewieſen hat, daß wenigſtens die Landſchildkröten im ſtande ſind, Teile ihres knöchernen Panzers, die er entfernt hatte, ſamt den darüberliegenden Hornplatten wieder zu erzeugen.