Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

6209 Dritte Drdnung: Schildkröten; neunte Familie: Weihſchildkröten.

wenn ſie gefangen werden, zumal wenn ſie vorher verwundet worden ſind. Nicht alle, aber “doh weitaus die meiſten Beobachter, die Gelegenheit hatten, lebende Weichſchildkröten kennen zu lernen, ſtimmen darin überein, daß dieſe zu den ingrimmigſten und biſſigſten Gliedern der Ordnung zählen und nicht allein ziſchen und heiſer ga>ern, ſondern auch heftig um ſih beißen. Die bedeutende Größe unſerer Schildkröten deren Gewicht bei einzelnen Arten 75, ja 100 und mehr Kilogramm betragen kann, und ihr äußerſt wohlſ{<hme>endes Fleiſch fordert erklärlicherweiſe zu einer mehr oder weniger nahdrü>lihen Verfolgung heraus. Man fängt ſie in Fiſhneßen und mit Hilfe der Angel erlegt ſie mit der Büchſe oder ſpießt ſie im Waſſer, je nachdem die eine oder andere Art der Erbeutung üblich iſt oder beſſeren Erfolg verſpricht; aber man thut wohl, ſih in beſcheidener Entfernung von einer gefangenen Weichſchildkröte zu halten. „Zum Fange der Gangesweichſchildkröte (Trionyx gangeticus)“/ erzählt Theobald, „benugt man eine lange, an den Spißen zugeſchärïte eiſerne Gahel oder ein zugeſchnißtes Bambusrohr und ſtößt dieſes Werkzeug an verſchiedenen Stellen in den weihen Schlamm oder die angeſ<wemmten halbverfaulten Blätter längs der Ufer der Bergſtröme. “Berührt der Fiſcher hierbei eine Weichſchildkröte, ſo nimmt er dies an threr Bewegung wahr. Nunmehr unterſucht er vorſichtig mit der Hand ihre Lage und befeſtigt, je na< der Größe des Tieres, einen oder mehrere ſtarke Angelhaken in dem hinteren Teile des Knorpelrandes ihres Schildes. Fett folgt ein kräftiger Zug an allen Angelſchnüren und heraus kommt die wild um ſi<h ſchlagende und mit ingrimmiger Wut nach allem Erreihbaren ſhnappende Schildkröte. Wenn legtere ſehr groß iſt oder in tiefem Waſſer liegt, treibt man ihr au<- wohl mit Hilfe eines ſ<hweren Hammers einen ſtarken ſpizigen Pfahl dur< den Rücken und fördert ſie an dieſem zum Lichte des Tages. Wehe dem Gliede, das jeßt das raſende Tier erlangen kann! Jh habe geſehen, wie eine Weihhſchildkröte die Zehe eines Mannes abbiß mit Stumpf und Stiel. Unter allen Umſtänden iſt es ratſam, dem ebenſo beweglichen wie boshaſten Geſchöpfe ſobald wie möglich eine Kugel dur< das Hirn zu jagen; aber auh die Weichſchildkröte beſit eine außerordentliche Lebenszähigkeit, und ihr Kopf beißt noh wütend um ſi<, na<hdem er vom Leibe getrennt worden iſt.“

Die Mongolen, denen die Biſſigkeit der bei ihnen einheimiſchen Weihhſchildkröten wohl bekannt zu ſein ſcheint, umkleiden ihre Lebensgeſhihte mit Fabeln und Märchen. „Unfere Koſaken verzichteten“, ſo berichtet Prſhewalski, „mit uns im Tachylga-Bache zu baden; denn ſie fürchteten die Weichſchildkröten von denen ihnen die Mongolen erzählt hatten. Letztere ſchreiben dieſen Geſchöpfen beſondere Zauberkräfte zu und wieſen, um ihre Anſiht zu belegen, auf die zierlihen Augenfle>en hin, die ſi< auf der Oberſeite des Rüen\cildes befinden, und die ſie für tibetaniſhe Buchſtaben erklärten. Sie hatten unſere Koſaken eingeſhüchtert dur<h die Behauptung, daß die Schildkröten ſi< in das Fleiſch der Menſchen einſaugten und, wenn dies geſchehen ſei, auf gewöhnlichem Wege nicht mehr abreißen ließen. Das einzige Mittel in ſolhem Falle ſei, daß ein weißes Kamel und ein weißer Rehbo>k herbeigeſchafft werde und, wenn ſie die Schildkröte erbli>kten, zu ſchreien begönnen: dann laſſe die leßtgenannte von ihrem Opfer ab. Fn früheren Zeiten gab es im Tachylga-Bache keine Weichſchildkröten; aber die fürhterlihen Tiere erſchienen plößlih, und die ebenſo erſtaunten wie entſeßzten Bewohner der Umgegend wußten nun niht, was ſie thun ſollten. Endlih wandten ſie ſi<h um Rat an den Higen oder Abt des nächſten Kloſters, und dieſer erklärte, daß die Schildkröte, die plößlich erſchienen ſei, fortan Beſißerin des Baches bleiben werde, überhaupt zu den heiligen Tieren gezählt werden müſſe. Seit dieſer Zeit wird allmonatlih einmal an der Quelle der Tahylga andächtig gebetet.“ Übrigens meint auh G. A. Boulenger bei Beſprechung der indiſchen Weichſchildkröten, daß die Wildheit, Bösartigkeit ſowie die Fähigkeit, mit der