Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

Nahrung. Fortpflanzung. Erſeßen verlorener Körperteile. Zählebigkeit, Nügßlichkeit. 647

ſich bildet, deſſen Geſtalt der eines Shwanzes ähnelt, der ſih aber dadurch von dieſem unterſcheidet, daß er Abweichungen in der Hautbede>ung und oft auh in der Wirbelbildung zeigt; bei einzelnen Lurchen hingegen entſtehen, wenn man ſie verſtümmelt, neue Glieder mit Knochen und Gelenken, gleichviel ob das Tier alt oder jung, ob es ſi< im Larvenoder im ausgebildeten Zuſtande befindet. Freilich, bei den höheren Lurchfamilien gelingt ſolches niht. P. Fraiſſe hat vergebens darauf gewartet, daß ein Froſh oder Laubfroſch auh nur einen Finger, geſhweige denn ein Bein neu erzeugte. Schneidet man aber einem Molche ein Bein oder den Schwanz ab, ſo erſezen ſich dieſe Teile wieder, obſchon langſam; wiederholt man den Verſuch, ſo hilft die Natur zum zweitenmal nah. Verwundungen, an welchen andere Wirbeltiere unbedingt zu Grunde gehen würden, behelligen dieſe Lurche kaum; das Auge, das man ihnen raubt, bildet ſih von neuem. Dieſe Eigenſchaft und ihre ſonſtige Unempfindlichkeit hat die uns zugänglichſten Arten der Klaſſe, insbeſondere die Fröſche, zu Märtyrern der Wiſſenſchaft geſtempelt: an ihnen wurden und werden die Verſuche angeſtellt, die über die Thätigkeit und Wirkſamkeit der Organe die bedeutſamſten Ergebniſſe gehabt haben. Ein Froſch, dem man das Rückgrat bloßgelegt hat, hüpft nach der faſt allen übrigen Wirbeltieren tödlihen Verwundung ſcheinbar munter umher; ein Salamander, den man in der fürhterlihſten Weiſe verſtümmelt hat, lebt annähernd in derſelben Weiſe fort wie früher. Nur von den niederſten Seetieren wird ſolche Erſaßfähigkeit no< übertroffen. Fn gleicher Weiſe zeigt ſich die Lebenszähigkeit wenigſtens einzelner Arten der Klaſſe den Einwirkungen des Wetters gegenüber. Salamander und Molche, niht aber Froſchlurche, können im Waſſer zu Eis gefrieren und in der Wärme mit dem Eisſtücke wieder zum Leben auftauen; ein Molch kann infolge von Troenheit zu einer unförmlihen Maſſe einſhrumpfen, an welher man keine Regung mehr wahrnimmt, und dur< Befeuchten mit Waſſer doh wieder ins Leben zurükehren. Fa, ſelbſt im Magen von Feinden noch leiſtet den Lurchen ihre Unverwüſtlichkeit gute Dienſte: aus getöteten und aufgeſchnittenen Schlangen kriehen no< lebende Kröten hervor, deren Hinterbeine bereits gänzlich oder doch teilweiſe verdaut ſind.

Unter dem Haſſe, den die Kriechtiere mit Recht oder Unrecht erregten, haben auch die ihnen in ſo mancher Hinſicht ähnlichen, bis in die neuere Zeit mit ihnen zuſammengeworfenen Lurche zu leiden. Kein einziger von ihnen aber iſt wirklich {hädli<, kein einziger im ſtande, Unheil anzurichten: gleiGwohl verfolgt und tötet ſie blinde Unkenntnis noch in unverantwortlicher Weiſe. Von uralten Zeiten her haben ſi auf unſere Tage Anſchauungen vererbt, die, obſhon gänzlih ungerechtfertigt, ſelbſt bei ſogenannten Gebildeten noch geglaubt werden. Während der einſihtsvolle Gärtner die Kröte hegt und pflegt, der Engländer ſie ſogar zu Hunderten auffauft, um ſeinen Garten von allerlei ſhädlihem Geziefer zu reinigen, ſ{lägt der rohgeiſtige oder doh fenntnisloſe Menſh das häßliche“ Tier tot, wo er es findet, gleihſam als wolle er ſi< auf eine Stufe ſtellen mit dem Storche, der an dieſem Tiere eine uns faſt unbegreifliche Mordluſt bethätigt. Bei dem, der beobachtet, haben ſi alle Lurche dieſelbe Freundſchaft und Zuneigung erworben, die man allgemeiner nur den Fröſchen zollt, obſchon die übrigen Klaſſenverwandten ſie in demſelben Grade verdienen wie dieſe. Gegen die meiſten Raubtiere ſ{<hüßt viele der Schleim, den ihre Haut abſondert; diejenigen unter ihnen aber, die keine derartig beſonders wirkſame Gifthaut beſizen, fallen in Unzahl den allerverſchiedenſten Tieren zur Beute: vom Froſche fann man dasſelbe ſagen wie vom Haſen: „Alles, alles will ihn freſſen!“ Selbſt der Menſch ſchäßt die Schenkel einiger Arten als le>eres Gericht. Ein Glü> für ſein Geſ<leht, vielleicht au< für uns, daß die außerordentlich ſtarke Vermehrung alle entſtehenden Verluſte bald wieder ausgleicht!