Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 4
Leben8weiſe. Ruhe. Nahrung. Wanderungen. 19
verfallen und in dieſer verweilen, bis die wiederkehrende Regenzeit ihre früheren Wohnpläge von neuem mit Waſſer füllt und ſie ins Leben zurü>ruft. Auch bei uns zu Lande fann etwas Ähnliches geſchehen. Jm Fnneren Afrikas und in Fndien iſt eine Tro>kenruhe der Fiſche durchaus nihts Ungewöhnliches; denn ſie findet hier in allen Binnengewäſſern ſtatt, die niht mit Flüſſen zuſammenhängen und zeitweilig gänzlich vertro>nen, iſt au keine3wegs allein auf Angehörige der Gruppe, die von den Lungenfiſchen gebildet wird, beſchränkt. Viele der vor anderen in gewiſſer Hinſicht begünſtigten Fiſche gehören zu denen, die unter Umſtänden auh eine Wanderung über Land antreten, in der Abſicht, ein noh waſſerhaltiges Be>en zu erlangen; ſie führen alſo Reiſen aus, die entfernt mit dem Streichen der Vögel verglichen werden können. An leßteres erinnern ebenſo gewiſſe Ortsveränderungen unſerer Süßwaſſer- und Meerfiſche, die je nach der FJahreszeit oder infolge gewiſſer Zufälle ihren Aufenthaltsort wechſeln, beiſpiel8weiſe aus den Seen in Flüſſe emporſhwimmen oder nach jenen zurüdkehren 2c. Dagegen laſſen die ſogenannten Wanderungen der Fiſche durchaus keinen Vergleih zu mit Zug und Wanderſchaft der Vögel, weil ſie einzig und allein bedingt werden dur den Fortpflanzungstrieb.
Weniger als alle übrigen Wirbeltiere hängen die Fiſche ab vom Wechſel des Fahres. Für Säugetiere, Vögel, Kriechtiere und Lurche iſt in der Regel der Frühling die Zeit, wenn nicht der Liebe, ſo doh der Erzeugung, der Geburt der Jungen; niht dasſelbe kann man von den Fiſchen ſagen. Allerdings fällt auch bei den meiſten unter ihnen die Fortpflanzungszeit in den günſtigeren Abſchnitt des Jahres, bei uns zu Lande alſo in den Frühling und Sommer; aber ſhon unſere deutſchen Flußſfiſche laichen, mit Ausnahme des Sanuax, Februar und Auguſt, in allen übrigen Monaten des Jahres, und einzelne von ihnen laſſen gewiß auh niht einmal dieſe Ausnahme gelten, ſei es, daß ſie eher, ſei es, daß ſie ſpäter mit dem Laichen beginnen, dieſes wichtige Geſchäft alſo ſhon vor oder nah der regelmäßigen Zeit abmachen. Da nun die Wanderungen der Fiſche einzig und allein zu dem Zwe>e unternommen werden, den Laich an geeigneten Stellen abzuſetzen, ergibt fi von ſelbſt, daß von einer allgemeinen Zeit dieſer Wanderungen, wie ſie der Zug der Vögel einhält, niht geſprochen werden kann. Nicht die beginnende Verarmung einer gewiſſen Gegend, bedingt dur< den Eintritt eines beſtimmten Fahresabſchnittes, iſt es, die ſie treibt zu wandern, ſondern einzig und allein der gefüllte Eierſto> des Nogeners, der von Samen ſtroßzende Hoden des Milchners. Je nach der Zeit nun, in die ihre Fortpflanzung fällt, ſteigen ſie aus der Tiefe des Meeres oder den kalten Gründen einzelner Binnenſeen zu den höheren Waſſerſhichten empor, ſ{hwimmen in den Flüſſen aufwärts, ſo weit ſie können, wählen die geeigneten Pläße, um ihren Laich abzulegen, und kehren, nachdem ſie dem Fortpflanzungstriebe Genüge geleiſtet haben, allgemah wieder nach dem früheren Aufenthaltsorte zurü>, ihre Jungen, um mich ſo auszudrüden, vorausſendend, mit ſi< nehmend oder nach ſih ziehend. Daß au< das Umgekehrte geſchehen kann, daß Süßwaſſerfiſche bewogen werden, ins Meer zu gehen, haben wir geſehen; die Urſache der Wanderung bleibt immer dieſelbe. Wie bereits bemerkt, nahm man früher an, daß die Wanderung der Fiſche ſi< über ausgedehnte Meeresteile erſtre>e, während wir gegenwärtig, abgeſehen von einzelnen verſchlagenen, beiſpielsweiſe von ſolchen, welche mit dem Golfſtrome ziehen, an dieſe großartigen Reiſen niht mehr glauben, ſondern nurx ein Aufſteigen aus tieferen Schichten zu höheren annehmen können. Erſt die Erkenntnis, daß einzig und allein der Fortpflanzungstrieb zum Wandern bewegt, erflärt das uns ſ{hwer verſtändliche Betragen, das Drängen, Eilen, das rükſichtsloſe Vorwärtsgehen der Fiſche, das uns erſcheint, als wären ſie mit Blindheit geſchlagen. Dieſer auh bei anderen Tieren ſo gewaltige Trieb iſ es, der ſie ihre bisher gewohnte Lebensweiſe vollſtändig vergeſſen und ſie ihrem ſonſtigen Benehmen widerſprehende Handlungen begehen läßt.
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