Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 4

Gefährlichkeit Übertreibungen. Seltenheit von Unglücksfällen. 443

eines friſh gefangenen Haies werden mit großer Kraft geführt, ſo daß das ganze Verde> eines Schiffes erdröhnen kann, und ein großer Hai mag ſowohl den Schenkelknochen eines Mannes als auc die Planken eines Bootes zertrümmern. „Jh erkundige mich oft danah“, ſchreibt Kuntze weiter, „ob dieſe verſhrieenen Tiere wirkli<h Menſchen anfallen, doch nie iſt mix eine glaubwürdige Beſtätigung zu teil geworden. Kapitän Kluge erzählte mir vielmehr, daß er im auſtraliſchen Meere viele Eingeborenen ruhig und unangefochten zwiſchen zahlreihen Haifiſchen habe ſhwimmen ſchen. Dbwohl es nun niht unwahrſcheinlih iſt, daß große Haifiſche, deren verſchiedene Arten ſih auch verſchieden verhalten werden, man<hmal einen na>ten und toten Menſchen verzehren, ſo ſcheinen mir doh die meiſten Berichte der Reiſenden über Haifiſche, die ſih in der Regel auf Hörenſagen ſtüßen, übertrieben zu ſein und einer genauen Prüfung zu bedürfen.“

Auch dann, wenn Menſchen zufällig in das Waſſer und zwiſchen Haifiſche geraten, verfallen ſie keineswegs ſofort den gefräßigen Tieren. „Wo ſi ein toter oder verwundeter Wal befindet“, ſo berihtet Pehuel-Loeſche, „da verſammeln ſi< in den wärmeren Gewäſſern oft viele Haifiſhe mit unbegreiſliher Schnelligkeit. Nun iſt es in dem we<hſelvollen Leben der Walfänger gar nicht ſo ſelten, daß Boote zertrümmert und die Mannſchaften in das Waſſer geſchleudert werden, eine für die anweſenden Haie gewiß verführeriſche Gelegenheit; und dennoch iſt mir kein Fall befannt, daß ein Menſch gebiſſen worden wäre. Jm Südatlantiſchen Meere wurde einſt unſer Boot von einem Pottwale gänzlich zerſchlagen, und wir ſe<s Jnjſaſſen waren genötigt, uns mittels Rudern und Planken vielleicht 2 Stunden lang ſ<hwimmend zu erhalten, und zwar mitten zwiſchen den unheimlichen Haifiſchen. Raſtlos wie die See ſelbſt, auf und nieder tauchend, zogen ſie ihre Kreiſe um uns, aber obgleich unter uns einige Farbige waren, die doh als Leckerbiſſen für ſie gelten, wurden wir denno<h nicht beläſtigt. Ein andermal wurde ein langſeits genommener Wal abgeſpe>t, während eine Menge Haie uns waer dabei halfen; wie üblich ſtieg ein Mann, wieder ein Farbiger, auf den Rieſenleihnam hinab, um die Kinnlade abzulöſen, glitt aber, obwohl er durch eine Leine geſichert war, von der ſchlüpfrigen Maſſe ab und plumpſte in das Waſſer. Sofort ſchoſſen, wahrſcheinlih ein Stück Spe> oder Fleiſch vermutend, mehrere der gefräßigen Tiere auf ihn zu, wandten ſi<h aber, ihren Frrtum erkennend, wenige Fuß vor dem zappelnden Menſchen wieder hinweg. Ferner ſah ih auf der Jnſel Mocha, an der Küſie von Chile, Notten wilder Knaben der einkommenden Flut zwiſchen dem Gefelſe bruſttief entgegenwaten und den herandrängenden Haien zu Leibe gehen. Meiſtens erlegten ſie mit ihren unvollkommenen Lanzen und Harpunen nur kleinere Stücke; doh ſah i< ſie au<h einen 2s m langen Menſchenhai ans Land bringen, der natürlich viel größer war als irgend einer ſeiner Peiniger. Dieſe verſicherten mir, daß ſolche Jagd ihr LieblingSvergnügen ſei, und daß ſie oft noh viel größere Haifiſche erbeuteten.“

Während nun die Haie in ſehr vielen Gebieten, wo die Menſchen ſtetig mit ihnen zuſammentreffen, kaum beachtet und nicht für gefährlih gehalten werden, fürchtet man ſie, und gewiß niht ohne Grund, in manchen Gegenden, wie z. B. auf der Neede von Lagos und an anderen Stellen der weſtafrikaniſchen Küſte, ebenſo am Geſtade von Natal 2c. ganz außerordentlih. Wir dürfen deshalb annehmen, daß ſi< unter den Haien ge: wiſſermaßen ebenfalls Menſchenfreſſer ausbilden und an manchen Örtlichkeiten ſehr fred; werden fönnen. Fmmerhin kommen, zumal ſich ſo zahlreiche Gelegenheiten darbieten, Unglüdsfälle ret ſelten vor, ſo überaus ſelten, daß es keineswegs leiht ſein würde, auch nur ein Dußend thatſächlih erwieſener, d. h. von zuverläſſigen Augenzeugen beſtätigter Fülle von Menſchenraub aufzuzählen. Darum darf au< ruhig geſagt werden, daß die Neigung der Menſchen, zu übertreiben, dur< Wiederholung von Schre>ensgeſchichten eine gewiſſe Wirkung zu erzielen, die Haifiſche viel ſ{hlimmer hat erſcheinen laſſen, als ſie wirklich