Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 4

442 Achte Ordnung: Knorpelfloſſer; erſte Familre: Menſchenhaie.

von der großen Gefährlichkeit des Haifiſhes überzeugt und deshalb geneigt, allerlei \{<re>liche Erzählungen zu glauben und ſie weiter zu verbreiten, ohne ſie ſorgſam zu prüfen. Würde er ſih dagegen gewiſſenhaft bemühen, Augenzeugen aufzuſuchen, thatſächliche Beweiſe für eine Begebenheit, die ſih ereignet haben ſoll, zu erlangen, ſo würde er ſehr viele, wenn niht die meiſten der erhaltenen Berichte, vielleicht ſogar alle als unzureichend verbürgt ſtreichen müſſen. Seeleute haben ihre eigne Sagenwelt, an der kaum zu rütteln iſt; ſie ſtimmen überein in ihrem Haſſe, in ihrer Grauſamkeit gegen Haifiſhe und wiſſen von ihnen ſhre>li<he Dinge zu erzählen. Fragt man aber die Leute, wo, wie und wann ein Unglü>sfall geſchehen ſci, wer ihn mit angeſehen habe, ſo erhält man gewöhnlich eine gänzlih unbefriedigende Auskunft. Selbſt die Walfänger und die Hochſeefiſcher, die doh das Leben im und auf dem Meere ganz anders und viel gründlicher kennen lernen als die Mannſchaften von Kauffahrern und Kriegsſchiffen, werden, wenn überhaupt, ſo doch nur äußerſt ſelten im ſtande ſein, einen überzeugenden Beweis für die Gefährlichkeit der Haifiſche, für einen wirklih vorgekommenen Menſchenraub zu liefern. Pechuel-Lo eſce hat während ſeiner über mehr als zwei Jahrzehnte ausgedehnten Reiſen und langen Kreuzfahrten in vielen Meeren niht einen Unglücksfall oder au< nur eine gefährliche Lage beobahten und trot eifrigen Befragens auh nicht einen einzigen Augenzeugen vom Raube eines Menſchen dur Haie finden können. Fm Gegenteil: er hat ſehr oft Leute in geradezu ſträflih erſcheinendem Leichtſinne ſich mitten zwiſchen die Raubfiſhe wagen ſehen, entweder um ſie anzugreifen, zu fangen oder um gänzlih unbekümmert irgend welche andere Handlung zu verrichten.

Es iſt ja bekannt, daß viele Eingeborene, z. B. Bewohner der Südſee-Fnſeln, ſih ohne Zögern zwiſchen die Haifiſhe wagen, ſei es um dieſe ſelbſt oder andere Fiſche zu fangen, oder auh nur, um zu ihrem Vergnügen umherzuſ<hwimmen und zu tauchen. „Haifiſche“,/ berihtet Wyatt Gill, „gibt es in großer Menge in der Nähe von Penrhyns Fnſel. Jm April erſcheinen gewiſſe kleine Fiſche in ſolher Unmaſſe, daß die ganze Meeresfläche davon zu wimmeln ſcheint. Um dieſe Zeit kommen die Eingeborenen leiht an die Haie hinan, die an der Oberflähe umherſhwimmen und eine Menge Fiſche vertilgen, und es gelingt ihnen, bald hier, bald dort einem Haie eine Schlinge über das Schwanzende zu ſtreifen und ihn dann plöglih an ihr Boot heranzuziehen. Zu anderen Zeiten tauchen die Eingeborenen, au<h die von anderen Fnſeln, ins Meer hinab, betreten die Höhlen im Riffe, wo die Haie ihre Schlupfwinkel haben, und nachdem ſie einem davon ihre Schlinge glüd>lih um den Schwanz gelegt haben, ſchwimmen ſie {nell zur Oberfläche empor, um dann ihre Beute heraufzuziehen.“ Auch Wyatt Gill iſt der Anſicht, daß der Hai dem Menſchen wohl gefährlih werden könne, aber er weiß troßdem niht von einem einzigen Unglücksfalle zu berichten, obwohl er vielfach von anderen erzählt, die dur<h Stachelrochen, Schwertfiſche 2c. verurſaht wurden. F. Day, der jahrelang in Fndien beſchäftigt war, Beobachtungen zu ſeinem Werke über Fiſhe zu ſammeln, meint, daß die gefährlichſten von allen Haifiſchen wohl die Grundhaie in den Flüſſen ſeien, die ſelten die Gelegenheit verpaßten, Badende zu überfallen; er fügt aber ausdrüdlih hinzu, daß ihm troßdem in einer Reihe von Fahren nur ein verbürgter Fall von Menſchenraub bekannt geworden ſei. Leichname würden allerdings ſofort von den Haifiſhen angenommen; im übrigen aber ereigneten ſi<h Unglücksfälle erſt dann, wenn gefangene Haie noh lebend in die Fiſcherboote genommen würden. Wahrſcheinlih werden unter ſolchen Umſtänden Shwanzſchläge oder gelegentliche Biſſe mancherlei Verlegungen ſowie Knochenbrüche verurſachen.

So darf man wenigſtens vermuten nah einer Bemerkung, die D. Kunße macht: „Der Kapitän zeigte mir am Arme die Spuren eines Haifiſchbiſſes; doh iſt er gebiſſen worden, als der Haifiſch gefangen an Dek gezogen worden war“. Die Shwanzſchläge