Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 4

458 Achte Ordnung: Knorpelfloſſer; ſiebente Familie: Stachelhaie.

Die Knotenhaie (Laemargus) haben alle Merkmale der vorſtehend beſchriebenen Gruppe, mit Ausnahme der Stacheln vor den Bruſtfloſſen. Die Zähne der beiden Kinnladen ſind verſchieden gebaut, die der unteren breit, mit den Spißen na<h außen gerichtet, ſo daß die ungezähnelte Fnnenſeite ſi<h na<h oben wendet, die der oberen Kinnlade ſ{<lank kegelförmig, vorn faſt gerade, ſeitlih ebenfalls mit den Spißen nah außen gebogen.

Vertreter dieſer Gattung iſt der Eishai, der Haakjerring der Norweger (Laemargus borealis und brevipinna, Squalus borealis, norvegicus und microcephalus, Scymnus borealis, glacialis, micropterus, breyipinna, microcephalus und gunneri, Leiodon echinatum), ein Fiſ< von 6—8 m Länge und gleihmäßig aſ<hgrauer Färbung, der das Nördliche Eismeer bewohnt, hier ſih in der Regel auf hoher See oder in großen Tiefen aufhält und nux an die Küſten kommt, wenn er eine Beute verfolgt oder ſeinerſeits von Fiſchern gejagt wird.

Nach den übereinſtimmenden Berichten gibt er keinem ſeiner Familienverwandten an Kühnheit, Mut und Gefräßigkeit etwas nah. Er frißt, laut Fabricius, alles, was ihm vorkommt, Fiſche der verſchiedenſten Art, insbeſondere Plattfiſhe, Kabeljaus und Verwandte, junge Rochen, große und kleine Wale; Menſchen ſoll er niemals oder do< nur äußerſt ſelten angreifen. „Dieſer Hai“, ſagt Scoresby, „iſt einer der Feinde des rieſigen Nordwales. Er quält und beißt ihn, während er lebt, und frißt von ſeinem Fleiſche, wenn er tot iſt. Mit ſeinem mächtigen Gebiſſe reißt er aus dem Leibe des rieſenhaften Säugers halbkugelige Stü>ke von mehr als Menſchenkopfgröße, eins nach dem anderen, bis er ſeinen Magen gefüllt hat. Beim Zerlegen des gefangenen Wales wetteifert er mit dem Menſchen: während dieſer den Rieſen oben zerfleiſcht, beißt jener ihm ein Stü nah dem anderen aus dem Leibe heraus.“ Scoresby erzählt, daß die Walfänger bei ihrer Beſchäftigung oft von dem Rücken des Wales hinab ins Waſſer fallen, ohne von den maſſenhaft verſammelten Haien beläſtigt zu werden; Fabricius hingegen gibt an, daß er die kleinen, mit Robbenfellen überzogenen Nachen der Grönländer mit ſeinem weiten Maule niederdrü>en und den darauf Sißenden die Beine abbeißen ſoll (?), weshalb ihn die Fiſcher fliehen, ſobald ſie ihn ſehen. Seine Raubſucht iſt ſo groß, daß er die eigne Art nicht verſchont. Ein Lappländer verlor, wie Leems berichtet, einen an ſeinen Kahn gebundenen Eishai, ohne es zu merken, fing bald darauf einen größeren und fand in deſſen Magen den verlorenen wieder. Gunner teilt mit, daß man in dem Magen eines dieſer Fiſche ein Renntier ohne Hörner, in einem anderen eine Robbe gefunden habe.

Die Grönländer behaupten, daß er ſchr gut höre und ſogleih aus der Tiefe herauffomme, wenn Menſchen miteinander ſprechen, ſhweigen alſo, wenn ſie in ſeine Nachbarſhaft kommen. Scoresby gibt gerade das Gegenteil an. „Die Matroſen“, ſagt er, „bilden ſi ein, der Eishai ſei blind, weil er ſi< um die Menſchen niht im geringſten bekümmert, und ſo viel iſ richtig, daß er ſih kaum rührt, wenn er einen Meſſer- oder Lanzenſtich empfangen hat. Ex iſt merkwürdig gleihgültig gegen Schmerz: einer, deſſen Leib mit einem Meſſer dur<ſtoßen war, entfloh, kehrte aber nah einer Weile wieder zurüd> zu demſelben Wale, von deſſen Rü>en aus er ſeine Wunde erhalten hatte. Das kleine Herz ſchlägt höchſtens ſe<hs- bis achtmal in der Minute, aber auh no< ſtundenlang, nachdem es aus dem Leibe herausgenommen iſt. Ganz ebenſo gibt der übrige Leib, und wäre er auch in verſchiedene Stücke geteilt, während einer ähnlichen Zeit unverkennbare Lebenszeichen von ſih. Es hält demgemäß ungemein ſ{<wer, den Eishai zu töten, und es bleibt gefährlich, den zähneſtarrenden Rachen des vom Leibe getrennten Hauptes no< geraume Zeit nach der Ablöſung zu unterſuchen.“