Charakterologie

168 Aus der mediziniihen Pfychologie

deutet das, daß wir nicht auf die, immer fragwürdigen, Leijtungen unjeres Intellefts angewiejen find, jondern uns getrojt der „Natur“ in uns überlajjen fönnen. Negativ liegt hier die Schwierigfeit, bei Sällen der Störung diejer „injtinktjicheren” inneren Abläufe unjer eigenes Innere dem Bewußtjein zugänglid) zu machen. Es ijt Tatjache, daß bei jchwereren Neurojen (3. B. vielen Zwangshanölungen) der Betreffende nicht weih, was er mit jeinen Handlungen eigentlicy „will“, und zwar dies nicht im Sinne der einfahen „Unjicherheit”, jondern jo gemeint, daß in ihm ein Nebenzentrum, ein „zweites Ic“ fönnte man jagen, jehr deutlich etwas ganz Bejtimmtes will, daß er aber als bewußter Menjch, troß ehrlichjten Zu=-Gericht-Gehens mit fid) felbjt, nicht in diefe Schichten feines Bewußtjeins dringen fann, um lie gejund zu verarbeiten. — Dieje Erjcheinungen der Abjpaltung des Bewußtjeins von den Tendenzen niederer Schichten in uns ijt das Hauptgebiet der Piykhoanalyje und der Individualpfychologie.

In pjyhopathiihen Sällen fommt es dabei oft zu Derjhmelungen von einander entgegengejetten Tendenzen: hajjen und Lieben desjelben Menjchen in eins, jo daß feines von beiden fich zu Haren Handlungen durch= ringen fann; Ja= und Heinjagen zu derjelben Situation, jo da feine EntIheidung zu einem von beiden möglidy wird. Dieje Haltung nennt man „Ambivalenz3” (ein Ausdrud von Bleuler, dem der „Bipolarität“ von Steud entjprechend). Sie findet ihren Ausdrud in den Handlungen der betreffenden Menjhhen dadurch, daß fie in bejtändiger, ausgedehnter „Wahl“ zwijchen dem jeweils Einen und Andern verharren.

Die Art des Auswählens jcheint uns überhaupt ein bejonders reines Modellinnerer Harmonie oder Dishbarmonie zwijchen unteren und höheren Schidh= ten im Menjchen zu fein. Ob es jih um Auswählen von Kleiderftoffen, Dienjtmädchen, Steunden oder Lebensgefährten handelt, immer zeigt die langaus= gedehnte Wahl an, daf tiefliegende Strufturjpannungen vorliegen, die oft dem ganzen Wefen eine quälende Unruhe und Unjicherheit geben: „Wer die Qual hat, hat die Wahl.” Die ausdrüdliche Wahl mit öfterem Hin und Her der Ent= Icheidungen it ein nie fehlendes Symptom für unorganijchen Aufbau der tieferen Schichten. Sie darf aber nicht verwechjelt werden mit der Eigenart, „wählerijch“ 3u fein — einer Eigenart, die für die Mitmenjchen genau jo läjtig werden Tann und zeitlih genau jo lange dauern Tann, die aber auf völlig anderer innerer Struftur beruht: zu ihr neigen diejenigen Menjchen, die jehr tar und genau willen, was fie wollen, die aber feinen Kompromiß eingehen fönnen, wenn die Realität ihnen nicht genau das ihrer (injtinkt-jfiheren) Tendenz Entjprechende darbietet.

Außer den Serualtrieben, von deren harmonijcher oder disharmonijcher Struftur jebhr vieles abhängt, find für pathologiihe Charaftererjcheinungen

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