Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation
immanent: Das Sein der Kreatur hat den Interessenwert des Nichts. Mit dieser Feststellung stehen wir bei der Terminologie seiner späteren Schriften. Sie zeigen durchaus keinen Umschlag in der Lehrauffassung, sondern nur eine Vershiebung und Umdeutung der Termini. Da der Gottesbegriff in seinen späteren Schriften ohne die Korrelation zum Seelenbegriff nicht zu denken ist, ist es wichtig darauf hinzuweisen, daß er das intelligere als solches und die naturae intellectuales als increabiles bezeichnet und sie damit eindeutig in den Bereich Gottes stellt. Das ist bereits ein klarer Ausdruck für die Ungeschöpflichkeit der Seele, für ihre Wesenseinheit mit Gott.
Stellen wir einmal Thomas und Eckhart in einem Schema gegenüber, so ergibt sich folgendes Bild: Bei Thomas fanden wir die Gruppierung:
Sein Gottes — Erkennen Gottes — Wahrheit in Gott
Sein der Kreatur — Erkennend.Kr. — Wahrheit der Kreatur Wahrheit i. Ding bei Eckhart dagegen die völlige Umwendung der Betrachtungsweise in der Richtung, daß 1) alle Begriffe „vereinseitist“ und vereindeutigt werden, 2) daß das Sein dem Erkennen absolut nachgeordnet wird:
Gott: Erkennen Wahrheit
Kreatur: Sein Gott, der eine Intellekt und die eine Wahrheit, erzeugt aus sich das eine Sein. Der Begriff der Erzeugung kann teils noch aufgefaßt werden im scholastischen Sinn einer materialen Hervorbringung. Beherrschend ist jedoch das Motiv der logischen Erzeugung, und dies ist für eine systematische Interpretation zugrunde zu legen. Daß Eckhart sich von der traditionellen thomistischen Auffassung völlig losgemacht hat, ist bereits von Grabmann eingehend gezeigt worden.
Es muß hier auf eine Eigentümlichkeit von Ecdharts Darstellungsweise hingewiesen werden, die für die Interpretation seiner Schriften von entscheidender Bedeutung ist. Obwohl Eckhart in seiner Quaestio zu Ergebnissen gelangt, die das gerade Gegenteil der Anschauungen des Heiligen Thomas besagen, referiert er doch im Anfang seiner Quaestio getreulich dessen Argumente über die Identität von Erkennen und Sein in Gott, die in den drei Beweisgruppen: seines erlernten Schulwissens, seiner früheren Ansicht und seiner jetzigen Meinung zwar nur den untersten Platz einnehmen, die aber
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