Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation
das Erwachen der großen Individualität ist. In autonomer Transponierung in den spezifischen Bereich der Religiösität führt das zur Entdeckung des wahren Adels und der Würde der Seele, des Ich als des eingeborenen Sohnes Gottes, und ferner zur totalen Umwertung der Welt, die nun nicht mehr als das zu überwindende Jammertal gilt, von dem sich der Mensch lösen müsse, um zu Gott hinaufgehoben zu werden, sondern als das Inmitten zwischen Gott und Ich, das das Ih zu einer Welt der Wahrheit, des Rechts, der Bruderliebe und der Ehrenhaftigkeit gestalten muß, um überhaupt erst zu Gott zu kommen. Eckhart beseitigt die Zweiweltlichkeit der Scholastik: das Diesseits und Jenseits mit ihren Verbindungsorganen: der Kirche und des Klerus, da die Seele, das Ich nicht mehr der unzulängliche Laie, sondern selbst Gottes Sohn ist. Er reißt das Jenseits ins Diesseits herein, wertet aber beide sogleich grundsätzlich um. Das Zentralproblem der Lebensgestaltung ist nicht mehr die Anpassung des Ich an das Dasein, sondern die Gestaltung und damit Erzeugung des Daseins aus der Aktualität des Ich als des Geistes selbst. Nicht mehr diezweiDaseinsbereiche des Jenseits und des Diesseits stehen einander gegenüber, sondern zwei Blick- und Wirkweisen des Geistes richten sich auf „Welt“ als dem total beherrschbaren Bereich des Inmitten zwischen Gott und Ich und Ich und Gott als den zwei Polen des Wirkansatzes und der Wirkerfüllung: principium et finis. Das ist Idealismus in seiner reinsten Form, in dem Gott, Welt und Ich unaufheblich an- und ineinander gebunden sind. Damit ist die Gefahr beseitigt, die in dem scholastischen Weltbild dauernd latent ist: das Auseinanderbrechen der Pole zu den konträren und sich bekämpfenden Weltauffassungen: des weltfremden Spiritualismus und des geistlosen Naturalismus.
Wissenschaftssystematisch erscheint die zusammengezwungene Zweiweltlichkeit als Ontologie sowohl Gottes wie der Kreatur und Psychologie mit ihren Verbindungsbrücken (von oben:) der Kausalität, (von unten:) der Analogie. Eckharts wissenschaftliche Besinnung über seinem neuen Erleben, seine Dialektik und Theologie erfährt eine entsprechende radikale Umwendung. Ich habe seinen Gegensatz zur scholastischen Ontologie mit dem Gegenbegriff der Logik bezeichnet, der im methodisch-formalen Sinn von Eckhart selbst gewollt zu sein scheint, wie es die gerade erschienene 1. Lieferung des Johanneskommentars ausweist: scientia docens ratiocinari in singulis scientiis et de singulis logica dicitur a logos, ratio. (Expositio in Johannem, ed Christ — Koch 1956 p. 22, 9.)