Der Künstler zwischen Westen und Osten

SCHWEIZERISCHE NATUR-GEISTIGKEIT UND DEUTSCHE DICHTUNG

Die deutschen Dichter, von Klopstock bis auf Nietzsche, die in die Schweiz pilgerten, empfanden alle mehr oder weniger bewußt, daß die Naturkräfte, die draußen walten, Formen des Geistes sind, der auch in ihnen schuf. Sie wanderten, um in einer reicheren Natur ıhr höheres Selbst zu finden. Sie glaubten, den Zwiespalt zwischen Stofftrieb und Formtrieb, der in ihnen klaffte, durch ein ursprünglicheres Erleben überbrücken zu können. Sie wollten ein verlorenes Paradies zurückgewinnen.

Als Goethe im Herbste des Jahres 1797, am Beginne seiner Schweizerreise, am Rheinfall zu Schaffhausen stand, bestäubt von Nebelgischt, umdröhnt vom Wassersturz, beglückt vom Farbenspiel, selbst weglaufende Welle, selbst stillruhende Woge, als das ungeheure Beweglich-Dauernde seine Seele den leiblichen Banden entriß, da erwachten alle Probleme, die er je bedacht, mit unerhörter Wucht in ihm: die Ideen der Farbenlehre, die Gedanken der Wolkenbildung, die Mutmaßungen über die Quellen des Meeres, und mischten sich mit den Einsichten über sein eigenes Innere. Fast schien ihm, als müßte die seelische Überfülle, die ın