Der Künstler zwischen Westen und Osten

128 Deutsches und schweizerisches Geistesleben

oder Osten abirrte und dadurch zur Karıkatur seiner Nachbarn wurde. Die Ausländer haßten in ihm ihr eigenes Zerrbild.

Aber die Zeit, da der Ausländer, wenn er nach Deutschland schaute, Nachahmungen seines eigenen Wesens finden mußte, die ihm mißfielen, ist vorüber, wenn der Deutsche sein Geistesleben von den Nötigungen des politischen und wirtschaftlichen Lebens loslöst und auf sich selber stellt. Dann erst vermag es sich zu entwickeln. Dann, und durch keine andere Bedingung, kann der Deutsche werden. Denn er ist noch nicht. „Die Deutschheit legt nicht hinter uns, sondern vor uns, sagt Novalis, „das Volk ist eine Idee: wir sollen ein Volk werden...“

Durch Staat und Wirtschaft entsteht es nie. Diese auf Kosten des Geistes fördern, heißt das Deutschtum vernichten. Es geht zugrunde, ohne die Samen, die in ihm liegen, zur Keimung bringen zu können, wenn es von rechts oder links absorbiert wird. Rechts, da droht der Staat, den der Formtrieb zur Bureaukratie erstarrt. Links die Wirtschaft, die der Stofftrieb verwirrt.

Aber gerade jetzt, da Deutschland von beiden Seiten so fürchterliche Gefahren drohen, erwachen die gewaltigen Werdeimpulse Schillers und Goethes wiederum. Weil diese Geister Deutsche waren, wie es Europa von ihnen fordern durfte, „Repräsentanten der sämtlichen Weltbürger“, „Umfassende“, „Werdende“, konnte Schiller die Schönheit als Vermittlerin zwischen Sinnlichkeit und Vernunft und Goethe seine Metamorphosenlehre finden. Deshalb ergab sich dem ersten die