Der Künstler zwischen Westen und Osten

Hölderlins geistige Heimat 139

Treu und freundlich wie du erzog der Götter und Menschen keiner, o Vater Äther, mich auf; noch ehe die Mutter

in die Arme mich nahm und ihre Brüste mich tränkten, faßtest du zärtlich mich an und gossest himmlischen Trank mir, mir den heiligen Odem zuerst in den keimenden Busen.

Nieht von irdischer Kost gedeihen einzig die Wesen,

aber du nährest sie all mit deinem Nektar, o Vater.

Und es drängt sich und rinnt aus deiner ewigen Fülle

die beseelende Luft durch alle Röhren des Lebens.

Darum lieben die Wesen dich auch und ringen und streben unaufhörlich hinauf nach dir in Freudigem Wachstum.

Wir werden, was dem Raume zugrunde liegt, das väterliche Prinzip, die ätherische Welt, den Vater Äther, von dem Hölderlin spricht, nicht eher erfassen, bevor wir durch den Anblick des strömenden Wassers eine Stimmung des Verzichtes, durch die Versenkung in die Bläue des Firmaments eine Frommheit des Gemütes und durch das Erfühlen des keimenden Grüns der Pflanzenwelt eine von leiblichen Einflüssen unabhängige Geisteskraft in uns rege gemacht haben. Durch solche Übung in der Naturhingebung erwacht der innere Mensch. Wir gelangen in die ätherische Welt.

Hier aber erleben wir, was uns von der Gott-Natur unterscheidet. Warum wir nicht „schicksallos‘“ wie die „Himmlischen‘ sind. Warum unser Dasein nicht im Vater Äther aufgehen kann. Warum wir Wesen sind, die nicht nur aus dem Raume, sondern auch aus der Zeit heraus geboren werden. Warum wir sowohl eine natürliche, als auch eine geschichtliche Abstammung haben. Warum wir ein Karma durch die Pforte der Ge-