Der Künstler zwischen Westen und Osten

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und selbstbewußten Gedanken durchdringt, zu wachsen, sowohl in der Vernunft als m der Liebe. Dann braucht er nicht mehr zu fürchten, von der Kluft, die zwischen Osten und Westen klafft, verschlungen zu werden. Er darf mit Goethe, der diesen Weg deutlicher als irgend jemand weist, sagen:

„Mag die geistige Kultur nur immer fortschreiten, mögen die Naturwissenschaften in immer breiterer Ausdehnung und Tiefe wachsen und der menschliche Geist sich erweitern, wie er will: Über die Hoheit und sittliche Kultur des Christentums, wie es in den Eyangelien schimmert, wird er nicht hinauskommen.“

So sprach Goethe am Ende seines Lebens.

Zu was soll sich also der Künstler bekennen? Zum Westen? Zum Osten? oder zur Mitte?

Ich sage: zum Menschentum, wo man auch wirkt. Zum Weltbürger! Im Westen zum Weltbürger, im Osten zum Weltbürger und in der Mitte zum Weltbürger. Dann bringt man dem Menschheits-Ich an jedem Orte seine Gabe dar. Der Westen bringt eine Technik, welche der Entwicklung der ganzen Menschheit dient. Der Osten eine Schicksalslehre, die jeden einzelnen mit Gott verbindet. Die Mitte eine Kunst, welche die Brücke zu schlagen vermag von hüben nach drüben.

Diese Gaben werden niedergelegt vor dem Menschheits-Ich, gerade wie am Anfang unserer Zeitrechnung Weihrauch, Myrrhen und Gold vor dem neugeborenen Christuskind. Aber heute werden sie dem Auferstandenen dargebracht. Dieser weist keinen ab.

Westen, Osten und Mitte vermögen gemäß Goethes