Der Künstler zwischen Westen und Osten

SCHILLERS EUROPÄERTUM

Schiller wurde durch den Anblick der geistigen Gestalt Goethes angeregt, sich über sein eigenes Wesen Rechenschaft abzulegen. Er tat es in den Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen. Dadurch, daß er dieses Werk, das Satz für Satz eine Arbeit an seiner Seele war, aus sich herausstellte, erfuhr sein Inneres eine Klärung im Instinktartigen und eine Stärkung in der Gestaltungskraft, die ihm ermöglichten, seinen Geist nicht nur aus dem eigenen Volkstum emporzuheben, sondern über ganz Europa auszubreiten und die Eigenschaften der anderen Völker zu erfassen. Die Entwicklung, die er infolge dieser Denkarbeit durchmachte, schuf sein dichterisches Vermögen zu einem Organe, das die verschiedenen Volksseelen ohne Vorurteile zu betrachten vermochte, Es bestand ja diese Selbsterziehung darin, daß er ein Gleichgewicht herstellte zwischen Stofftrieb und Formtrieb, indem er ein Bild des vollkommenen Menschen in sich zeichnete und ihm Wirklichkeit verlieh durch die Kunst. Infolge der schöpferischen Anstrengung seines Geistes wurden in ihm Kräfte entbunden, die ihn erkennen ließen, inwiefern die Völker Europas Stufen zur Menschheit als solcher sind.