Die Geſchichte des Weltkrieges 1914/17.

Obdach gewährt hatte.

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26 | Amtes, Rußland den Star zu ſtehen. Wenn ſi< ein Volk gefallen läßt, daß man es belügt und betrügt, ſo hat es nihts Beſſeres verdient.“ ; : Werner ſeufzte tief auf. Jebt hatte ihn der Engländer, 10D er hn Dabeir wollte. - | . „Und in ſoler Stunde,“ ſagte er dringlih, „läßt man

ſein Land niht im Stih! Jett ſind ihm aufre<hte Männex

nôtig! Jh erinnere Sie an unſer ſtolzes Wort: „Right or wrong — my country!“ (Reht- oder Unreht — mein Vaterland !)

„My country,“ wiederholte Werner mit zitternden Lippen. Was war's, das ihm denno< das Herz [<wellen ließ, als gerade jeßt wieder der Kanonendonner mit unverminderter Stärke einſeßte, was ihm wie ein Gruß flang: „Wir ſind da, wir befreien eu von dem fur<htbaren Dru> der leßten Monate“?

_ Seine Gedanken flogen zu ſeiner Mutter: was mochte

au ſie empfinden in dieſer Stunde? Unverändert deutſ<

war ihr Weſen, ihr Sinn durc all die Jahre in dem fremden Lande geblieben; ſie hatte es abgelehnt, wie ſonſt Deutſche es gar zu leiht taten, die Sitten und die Sprache dex neuen Heimat anzunehmen. Nach deutſcher Art hatte ſie au< ihn erzogen und ihn von Kind auf gelehrt, daß es noh ein

“ Jlluſtrierte Geſchichte des Weltkrieges 1914/18. SS SS -

_„Weshalb tun Sie das?“ fragte Werner ernſthaft. „Sie wiſſen ſo genau wie ih, daß die Déutſhen weder plündern no rauben werden.“ —

„Wex weiß, ob ſie niht Rache für Memel nehmen! VerDenken könnte man's ihnen niht,“ war die Antwort. Und in dem alten, gleichgültigen Ton, der Werner heute bis aufs Blut reizte: „Übrigens iſt es auh hier wieder niht meines Amtes, für die Deutſchen einzutreten oder ihnen gere<ht zu werden; au< den Ruf, den ein Volk beſißt, ver‘dient es. Weshalb haben die Deutſchen ſo lange alle VerTeumdungen ſtumm hingenommen?“ „Weil ſie zu ſtolz ſind, weil ſie es niht der Mühe für e E ſi gegen Niederträchtigkeiten zu vertei= igen!“ :

Umſo Slmmer für ſie, um ſo beſſer für uns!“

__ Sie ſtanden unter der Tür des Geſchäſtshauſes ſtill: ein blinder Slhre>en hatte die Bevölkerung ergriffen; in den Straßen wogte es planlos auf und ab, denn die Ausgänge zu den Bahnhöfen waren geſperrt und vom Strande herauf drang unabläſſig das ohrenbetäubende fur<tbare Wutgebrüll der Geſhüße. i / : Werner hätte dieſer verzweifelten haltloſfen Menge zurufen

mögen: „Seid unbeſorgt, man wird eu kein Saar krümmen !“

Vhot. Bild= und Filtn-Amt.

Der Deutſche Kaiſer beim Beſuch eines der Dardanellenforts auf Gallipoli.

Land gebe, in dem man die Tugend anerkannte und das Laſter verachtete, aber ihr ſelbſt unbewußt hatte ſie damit auh den Keim des Zweifels und der Unſicherheit in ſeine

Seele gelegt. Denn au<h Schule und Umgebung verfehlten

niht, ihren Eindru> auf thn zu machen, und verſu<hten, ihn zu dem zu bilden, was er nah der Meinung ſeines Chefs nur ſein konnte und durfte: ein eter, ruſſiſher Untertan. Sie ſtiegen die Treppen hinunter, na<hdem Werner die

Türen Der bis auf die einfahen Möbel leeren Geſchäftsräume abgeſchloſſen und die Schlüſſel Mr. Brown überreicht hatte. Der ſte>te ſie gleihmütig in die Taſche, keine Regung galt dem Hauſe mehx, das ex verließ und das ihm doth jahrelang i Werner wiederum mußte einen Augenbli> der Bewegung und Trauer überwinden.

Über den Flur unten zog es vom Hof her in abenteuerlichem, wildem Zug, der zu anderen Zeiten wohl Heiterkeit hätte auslöſen können. Wie ſtets bei den mehrfachen BeſchieZungen der Stadt wollten ſih auch die Juden retten. Aber faſt ſo teuer wie ihr Leben war ihnen ihr Beſißz, und ſo ſhleppten ſie die merkwürdigſten Dinge in Körben und

iſten mit, unter lautem Geſchrei ſi<h gegenſeitig zur Eile Und Vorſicht mahnend.

„Kinder, lauft, lauft,“ rief der Engländer ihnen ſpottend 31, „Der Feind kommt [<on!“

„Er kimmt, ex #mmt,“ wiederholten die Ungalücklihen

und ſtießen und drängten ſih kopfüber in die Straße.

Aber noh war die Stadt in ruſſiſher Hand und jedes Eintreten für die Feinde wäre gerade ihm, dem Deutſchruſſen, als Verräterei ausgelegt worden. Er mußte an die Mutter denken, deren Leben no< gefährdeter war als

“das ſeine. Zu ihr, das mußte ſein erſtes jeßt ſein.

„Leben Sie wohl, Mx. Brown, “ ſagte ex haſtig, „i< muß vox allen Dingen nah Hauſe.“ : —

„Vergeſſen Sie niht,“ entgegnete der Engländer ruhig und hielt ſeine Hand feſt: „es iſt jezt zwölf Uhr, man wird ſich den Tag zu merken haben, wir ſ{<reiben den 24. März alten, den 7. April neuen Stils des Jahres 1915, denn heute wird's ernſt, ih fühle das. Alſo vergeſſen Sie niht, Werner Pawlowitſ<h, um zwei Uhr drüben in Neu- Libau am Bahnhof zu ſein. Hier ein Papier, Das Ihnen überall den Weg öffnet. Jh gebe Jhnen zwei Stunden Zeit, Ihre Sachen zu ordnen und Abſchied zu nehmen. 7 Nen, nen, [ey Der andere gequält hervor, „Jo un“barmherzig können, dürſen Sie niht ſein! Wie wäre es mir wöglih, jet meine Mutter zu verlaſſen — — ;

„Sie waren ja der Gutmütigkeit und des Anſtandes Jhrer halben Landsleute ſo ſiher, Werner Pawlowitſh. Jhre Mutter kann niht beſſer auſgehoben ſein als unter ihrem treuen Schuß.“ j E <tete den Hohn der legten Worte niht.

_ Werner beachtet : i „Noh iſt die Stadt in ruſſiſher Gewalt, Mr. Brown. Sie wiſſen, weſſen ruſſiſhe Soldaten fähig ſind, wenn ſie ſih