Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

Mißverstehen würde dieses Buch, wer die Polstellung, auf welcher es aufgebaut ist, lediglich bezöge auf den Gegensatz des geographischen Asien und geographischen Europa. Denn diese Polstellung ist in keinem anderen Sinne gemeint als bei Jakob Burckhardt und Friedrich Nietzsche die heute allgeläufig gewordene von Apollo und Dionysos oder bei Arthur Schopenhauer die von Wille und Vorstellung. Der Leser darf also nicht vergessen, das dies Buch versucht, eine Weltanschauung mitzufeilen, nicht aber die Absicht hat, wirtschaftswissenschaftliche und bildungspolifische Meinungen zu verbreiten. Daher darf niemand wähnen, daß die hier niedergeleste Lebensanschauung ‚widerlegt‘ werden könne, wenn es etwa gelingt,

- ihr einen gelegentlichen Widerspruch nachzuweisen. Es wäre

auch möglich, daß der Fachmann für hinduistische, buddhistische, iranische, arabische, jüdische oder hellenische Sprach- oder Kulturwissenschaft, daß der Theologe oder Biologe dieses oder jenes zu verbessern wüßte. Bei der Begrenztheit meiner Kratt, der Sorgenlast eines Erwerbslebens, der Kürze unserer Erdentage und der uns erdrückenden Massenhaftigkeit täglich neuer Geistesleistungen, kann und darf kein Denker sich einlassen in Fachangelegenheiten (am wenigsten in philosophische) ... .

Endlich sei kurz angedeutet, wie der Leser dieses Buch lesen möge. Er fühle sich als freier schaulustiger Wanderer, welcher abseits von den gewohnten Straßen in ein wohlgefügtes deutsches Münster tritt. Er durchschreitet eine weite Vorhalle. Aus ihr gelangt er in das Haupt- und Mittelschiff. Er kann von diesem aus rechts und links angegliedert gewahren je zwei Seitenschiffe mit vielen bildergeschmückten Kapellchen. Es ist durchaus nicht nötig, daß er in jedes der kleinen Anhängsel eintritt. Er fasse ins Auge was immer ihm behagt; er wird bemerken, daß ihm von jedem Punkte aus auch das Ganze klar wird.

Ohne Gleichnis gesprochen: Ich hoffe, daß wer auch nur ein paar Seiten des Buches liest, einen Gewinn davonträgt an Klarheit und Wahrheit.

Frühling 1922.