Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

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gelingt ihnen das, so werden die schneller wachsenden Föhren und Tannen sie erdrücken, das Unterholz sie überwuchern, die Schlingpilanzen sie ersticken. Von den wenigen glücklicheren werden die meisten nach kurzer Zeit zerstört durch Insekten, Raupen oder Käfer. Einige setzen sich vielleicht durch, aber auch diese kommen nur verkrümmt und verkümmert empor. Nur eine einzige Eichel unter Millionen trägt die Glücksgöttin an eine Stelle, wo sie geschützt und frei stehend, die bestmöglichen Bedingungen des Wachstums findet. Dann erblüht das Vollendete. Ein Mal hieß es Goethe. Ein Mal hieß es - Schopenhauer. Sollen wir nicht neidlos und in Demut niederknieen und froh darüber sein, daß „wenigstens zweie von uns mitgekommen sind“? = v

Arthur Schopenhauer ist in der Geschichte der abendländischen Philosophie Asiens Merold und der Buddha unsrer Zeit geworden. Er fühlte sich so tief in Asien verwurzelt, daß auf die Nachricht, zum ersten Male sei ein Exemplar seines Hauptwerks nach Birma versendet worden, er freudestrahlend ausrief: „Endlich in Asien!“ Er pflegte gerne sich selber einen _ Buddhaisten zu nennen, (obwohl er sich vielleicht richtiger nur als Vedaphilosophen bezeichnet hätte), und während Deutschland seinem strahlendsten Denker das Denkmal vorenthielt, ermöglichte die Freigebigkeit eines indischen Fürsten, ihm in Frankfurt am Main, seinem Wohnsitz, eine Büste aufzustellen. Schopenhauers Lehre will die Wirklichkeit des menschlichen Bewußtseins abstreifen, diesen ‚Schleier der Maya‘. Ein zeitlos gegenwärtig Wandelloses (Platos: «T3xad" aito) währt unzerstörbar hinter der durch Raum, Zeit und Ursächlichkeit geformten Welt der Vorstellung. Benennen können wir dieses Sein jenseits von Bewußtsein nur nach Muster unsres eigensten lebendigsten Wesenkerns als: Lebenswille, Lebensschwungkraft, Wachstumsgewalt oder bildende Macht.

Schopenhauer betrachtet somit die Wirklichkeit abendländischer Völker wie ein Bhikhu: ohne Sinn für Geschichte, ohne Teilnahme an Staat und Staatskunst, mit Abscheu vor dem Empirismus und Pragmatismus der Wissenschaft, ein Verächter der Nützlichkeit und ein frommer Einsiedler in der Wüste der Mechanik. Was wir prahlerisch Weltgeschichte nennen — so kündet Schopenhauer — das ist nur das unaufhörlich sich drehende Karussel europäischer Machtwechselzufälle, eine untergeordnete etwas lächerliche Angelegenheit