Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

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werden durch noch so große und noch so viele Freuden des Diesseits oder des Jenseits.” —

Wie ich nie mit einem Finger greifen kann, sondern deren zweie bedari, so kann die Hand des Geistes gar ‘nichts erfassen, ohne zu jedem ee auch den Gegengrifi zu erfordern. Für die eich Erkenntniß, auf welche es in diesem Buche ankommt, sind daher nur solche Erscheinungen fruchtbar, welche einen der beiden Pole, deren Spannung lebenzeugend- iortwirkt, einseitig und oit bis zum Widersinn mit Leidenschaft übersteigert haben.

So sollen mir als Kronzeugen dienen zwei der größten Denker, die Deutschland hervorgebracht hat, deren einer ganz für Asien, deren anderer ganz für Europa den alten Urstreit entscheidet.

A6. Für Asien: Arthur Schopenhauer.

vifam impendere vero.

Kurz ' vor Abfahrt eines Abe llien Bahnzuges stand ich im Gedränge vor dem Schalter des Bahnhofs. Eine lange Menschenschlange wartete getreulich auf ihre Fahrkarten. Plötzlich erklärte der Schalterbeamte, daß er keine Karten für den Zug mehr ausgeben könne. Nur ein dicker Mann und sein Sohn, welche sich kräftig an die Spitze gedrängelt hatten, bekamen noch als letzte ihre Fahrtausweise. Dann wurde der Schalter geschlossen. Der Mann und sein Junge preßten sich durch die Bahnsperre. Die wütenden Verwünschungen aller Zurückbleibenden begleiteten sie. Plötzlich drehte der Dicke sich um und rief in die Menge ein Wort, das mir unvergeßlich blieb als der philosophischste Ausspruch, den ich je vernommen habe: „Ihr solltet lieber euch freun, daß wenigstens zwei von uns mitgekommen sind. —

Selten, sehr selten gelingt das Vollkommene. Von hunderttausend Eicheln die ein einziger Eichbaum zu erzeugen vermag, werden weitaus die meisten zur Beute für Maus und Eichhörnchen. Die andern verweht der Wind. Er bringt sie zuweilen wohl an Stellen, wo sie Wurzeln schlagen könnten. Aber

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