Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

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- Es ist ebenso berechtigt ein Vagabund zu sein, ne ein Heiliger. Es hat ebenso guten Sinn mit Antisthenes zu sprechen: „Ich möchte lieber verrückt, als in dieser Welt vergnügt sein“ wie mit Demokrit: „Wer in dieser Welt nicht vergnügt ist,

ist verrückt“. Es ist schön, das Leben so unbedingt zu billigen wie Seneka es billigt in seinem Lebenshymnus:

„Schlage mich blutig, reiß mir die Zähne aus,

Mach mich zum Sträfling, laß mich ein Sklave sein, Schlagt micn ans Kreuz und stecht mir die Augen aus, Wenr nur mein Leben währt, dann ist es gut.‘‘*)

Es ist aber ebenso schön, das Leben so unbedingt zu verachten, wie der selbe Seneka es verachtete, als er auf Beiehl des wahnsinnigen Kaisers Nero seelenruhig sich die Pulsadern öffnete und starb mit dem Worte: „Wer zu sterben weiß, bleibt Sieger.‘ ”)

Zwei Mal nur scheint mir im ganzen Verlauf der Erdengeschichte eine wirklich folgerichtige unbedingte Erkenntnißhaltung verkörpert worden zu sein: im Thiasos des Epikur und in der Sangha des Buddha. Epikur besaß vor allen andern Denkern das alles segnende, alles vergoldende, alles billigende Auge, weiches die Notwendigkeit jeder Wachstumsgewalt einsieht, alles Leben blühen läßt, so gut und so lange es kann, und für seine Person nichts begehrt, als inmitten des Unermeßlichen und Niefaßbaren, sich unbekannt und anspruchslos, nicht ferne dem: Leben aber über dem Leben, abgrenzen zw dürfen sein kleines Gartenland, um dort nach Maß der eigenen - Einsicht, das jeweils Bestmögliche zu vollenden für seinen kleinen Kreis Freier, Erlöster und fraglos Tapferer. — Buddha dagegen besaß ienes alldurchdringende Leidenswissen, welches an der zroßen Erdenfreudentafel nie zufrieden werden, nie ‚ruhig seinen Platz behaupten könnte, weil, verbunden mit allen Schicksalen, mein vergängliches Ich zu genau spürt, daß die Luft, die in meinen Lungen zum Jauchzen der Freude wird, der Todesseufzer ist irgend eines anderen. — Es hat daher guten Sinn gleich Nietzsches ‚amor fati‘ zu sprechen: „Um dieser einen Stunde willen sollen alle Schmerzen der Ewigkeit gesegnet sein.“ Es hat aber ebenso guten Sinn, gleich Schopenhauers ‚Negation des Lebenswillens‘ zu begreifen: „daß dieses Leiden möglich war und wenn auch nur ein Einziger es erlitten hätte, das kann nicht aufgewogen

*) „Si vita superest bene est“, angeführt als Verse des Mäcenas Ep. 101. **) Qui potest mori, non potest cogi.“ Ep. 26, 10.