Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

ragt noch hinein, ein Standbild aus Erz, in unsre eigenen Tage:

der erblindete uralte Mann in dem letzten bescheidenem Häus-

chen des stillen Vororts Nowawes vor Potsdam, der fast zur legendären Gestalt gewordene Eugen Dühring.”)

Zu Santa Fe liegt ein Wald, der ist durch unterirdische Gewässer, welche Kieselerde in Gestalt von Chalzedon absetzen, allmählich vollkommen zu Stein geworden. Die leuchtenden Farben seiner Stämme, gelb, rot und braun, sind wohl großartig genug. Aber es hängen keine lebendigen Blätter an ihren Zweigen. Es ist nur ein Wald aus Erz. Ein Panzerwald, mit dem sich die gequälte Erde umkrustete. Und war doch alles einmal da: die Buche und die Tanne, das Nest und das Vogellied. Aber es ist in Erz gefroren zu klingenden Kristallen.

Friedrich Nietzsche hat wiederholt das Bild Dührings gezeichnet. Bald vergleicht er ihn einem bissig gewordenem Hunde, der zu lange an der Kette gelegen hat und nun unterschiedslos jedem an die Waden fährt, der sich ihm, und sei es auch in freundlichster Absicht, nähert; ein ander Mal (in „Also sprach Zarathustra“) läßt er ihn auftreten als den „schäumenden Narren“, der eine rasende Strafpredigt hält wider die Laster “der großen Stadt, in welcher er doch selber weltverbessernd und predigend seinen Wohnsitz genommen hat; aber der moralfeindliche Zarathustra erwidert dem Warner: „Wo man nicht mehr lieben kann, da soll man — vorübergehn“. Ein drittes Mal (in der Vorrede zu „Also sprach Zarathustra“) taucht das Gesicht Dührings auf als das eines bösartig mürrischen Einsiedlers, das Gegenstück zu dem behaglichem Weltfeind und

*) Als die erste Auflage von „Europa und Asien“ erschien, 1916, war dieser leidenschaftlichste Vorkämpfer Europas noch am Leben. Aber er empfand unsre Gedanken naturgemäß nur als Eindringen des ihm tiefverhaßten asiatischen Geistes in die auf Wille und Verstand, Gerechtigkeit und Wissenshelle abzielende „fantasmenireie Wirklichkeit“, welcher sein Leben von fast neunzig Jahren unermüdlich gewidmet war. Herbst 1921 ist Dühring gestorben. Seit dem ersten Erwachen philosophischen Bewußtseins, war ich, bald zugeneigt bald abweisend, mit seiner Geisteswelt im Kampf. Ich habe zwei Mal in abschließenden Arbeiten zusammengefaßt, was ich über Person und Geistesart des merkwürdigen Mannes zu sagen hatte. Das’erste Mal seschah das in der Sammlung vermischter Schriften aus den Jahren 1900. bis 1914, welche im Verlage Otto Hapke-Göttingen 1914 in 2 Bänden erschien, unter dem Titel „Philosophie als Tat“. Meine Arbeit ist überschrieben: „Eugen Dühring, Geschichte des Verfalls einer Seele‘. (S. 263 bis 303). Die zweite Arbeit, welche alle Eindrücke und Wahrnehmungen endgültig zusammeniaßt, erschien als selbständiges Werkchen im gleichen Verlage wie das vorliegende Buch, unter dem Titel „Dührings Haß“ (Ste Auflage 1922). Indem ich auf diese Schriften verweise, beschränke ich mich auf wenige Andeutungen über Dührings Stellung zu Europa und Asien.