Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

sondern Adelsblut, das unter.die Herde gerät. Wie alle Entwicklung am Organismen ausgeht vom Punkte des geringsten Widerstandes und die Wunde wird zum Anlaß des Wachstums, so kann auch am Leibe der Menschheit das Wachstum nur ausgehn von der am meisten leidenden Minderheit, welche, verfeinerter und zarter als der Durchschnitt mır die Wahl hat eine sinnlos gewordene Lebensform zu zertrümmern oder an ihr zu verbluten.

=

Wir stehn am Ende, haben wir uns im-Kreise bewegt? Sind wir am Ziele des Weges genau an der selben Stelle, von welcher die Wanderung ausging?

Not!... Das erlauschten wir als die Melodie, nach welcher die Sterne kreisen. „Mindere die Not“: das ist die einfache und schlichte Forderung, mit der wir enden. — Auf

den Wegen der Logik und Etik allein ist diese Forderung nicht zu erfüllen. Auch nicht durch die aus Leichenhügeln des Mittelstandes hervorbrechende Revolution. Diese Mächte der Geschichte beseitigen immer nur der Zeitlichkeit begrenzte Nöte. Jenseits ihrer liegt das Wesentliche: zeitlos, leidlos, . wandellos. Diesen Himmel versuchten wir zu erfliegen. Müssen wir, vergleichbar dem erdgebundenstem Vogel, der zwar immer wieder hinaufschweben kann, aber nicht die Möglichkeit hat, im Äther zu leben, zuletzt wieder zurücklenken zur tagtäglichen Forderung der Erde? —

Anmerkung 1. Der Leser sei hingewiesen auf: „Schopenhauer, Wagner, Nietzsche“, Das Gesetz der kranken Minorität‘S.1291. und auf „Philosophie als Tat‘; ‚Über Wertsetzung ab imo.‘ S.88f. — Zur Zeit wo ich diese letzten Blätter inKorrektur lese, Herbst 1922, lastet auf Deutschland furchtbare, neue Staatsumwälzungen vorbereitende Not. Dabei hat der Herbst einen Obstsegen gebracht, wie wir kaum zuvor einen Segen sesehn haben. Die Arbeits- und Beförderungskosten aber sind so groß, daß keiner im stande ist, das Obst zu ernten. Ist das nicht ein Bild unsrer auf Willkür und Gewinn der Einzelnen aufgebauten Volkswirtschaft? Ein Volk verhungert, aber das Obst fault auf den Bäumen, Unsere Zukunftsirage lautet: Wie können wir Wasser, Wind, Luft, Boden ausnutzen für den Menschen, ohne die Einzelunternehmerraffgier zu benötigen. Zwei Beispiele: Auf Madagaskar hat man soeben (1922) die gesamte Jagd auf Krokodile und Alligatoren an einen iranzösischen Lederhändler verpachtet; dieser scheint zu beabsichtigen, diese ganze Tiergattung binnen drei Jahren auszurotten, um ihr Leder an Amerika zu verkaufen... In Deutschland stehn wir gegenwärtig ‘(Herbst 1922) so unter der Despotie der Kohle, daß, falls im kommenden Winter den Kohlenarbeitern einfallen sollte zu streiken, die gesamte deutsche Arbeiterschaft arbeitslos würde. Hätten aber Deutschland ° und Oesterreich genug Geld, um ihre Wasserkräfte auszubauen, so könnten wir an 10 Millionen Pferdekraft gewinnen und auch im Privathaushalt die Kohle durch elektrische Kraft ganz billig ersetzen.