Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

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Gegen alle Gedanken dieses Buches müssen freilich staarblind bleiben diejenigen, die von den logisch-etischen Maaßstäben der Menschenwohlfahrt, Menschenweltbeglückung, _ Menschenstaatserhaltung überhaupt nicht loszukommen im stande sind. Sie sind selbstverständlich im Rechte! Vom Standpunkt der Sittlichkeit sind sie die Gerechten. Vom Standpunkt der Logik: die Erkenner. Sie sind unwiderlegbar! Denn in der Tat! Alles kommt darauf an und alles läuft darauf hinaus, 1800 Millionen Menschen gesund, glücklich und iroh zu machen. Aber warum diese 1800 Millionen Menschen dasein müssen, warum überhaupt Menschen dasein müssen, das ist eine Frage, die denn doch erst einmal Einer beantworten sollte. Diese Voraussetzung ist durchaus nicht so ‚selbstverständlich‘, wie sie uns als Menschen natürlicherweise erscheint. Um aus dem ewigem Kreislaufe der Ansichten oder der Absichten je herauszukommen, (welcher uniruchtbare Kreislauf doch immer nur zeigt, als was für eine Art Wesen grade wir auf Erden herumzulaufen geboren wurden, ob als Proletarier oder als Bürger, als Ritter oder als Bauer, als Mann oder als Weib, ob jung oder alt, gesund oder krank, gesichert oder sehnsüchtig — und worin grade wir unsre Selbstrechtfertigungen und Selbstbestätigungen finden), müssen wir lernen, wie mit Augen außerirdischer und unbeteiligter Wesen Das, worein wir unentrinnbar einverschlungen und gleichsam gefangen sind: die Erde und ihre Geschicke zu betrachten. ‚Omnia pacata mente tueri. ....

e Ein mächtiger Gedanke Spinozas wird dem Leser diese in einem Zeitalter der gräßlichen Sorgenlasten und Klassenkämpfe fast unmöglich erscheinende Einstellung erleichtern. Spinoza hat den Gedanken ausgesprochen, daß die beiden Wesenszugehörigkeiten des Wandellosen, nämlich die geistige Welt und die körperliche Welt, nicht die zwei Seiten des Unbedinsten sind, sondern von unzähligen möglichen Attributen zweie, unter denen grade Ich und mein menschliches Bewußtsein das Ewigseiende wahrnimmt.‘ Dieser Gedanke läßt also die Möglichkeit offen, daß außer der Merkwelt des Menschen neben, mit, in, unter, über derMenschenwirklichkeit noch . zahllose andere Welten und Wirklichkeiten vorhanden sein könnten, und dass, wie diese meine Gegenstandswelt sich auferbaut in den Voriormen menschlichen, Bewusstseins, so, aus unerschöpilichem Borne strömend, andere Seelen, andere Geister aus sich heraus auch auferbaun könnten völlig andere, uns unbekannte Bewegungswelten, welche allesamt aber das Selbe sind wie die unsere mitsamt ihren Milchstrassen, Sonnen und Sternen: Tröpfchen Wellenschauns, aufgeworfen vom Meer; bald vom Meere wieder eingetrunken ... Dies wollen wir festhalten, indem wir aus der Vorhalle in das Hauptschiff treten. —

Glaubt mir Leben und Wachsen Ist das Einzige in der Welt. Was ieder davon denkt und hält Sind alles Faxen. (1893).