Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.
2 T. Das Heitalter der franzöſiſhen Revolution.
er eigentlich der erſte ſelbſtändige Miniſter des Äußern in Öſter=rei 1). Schon vor ſeiner Beruſung nach Wien hatte Kauni ſcharfen Blickes erkannt, daß der Staat in ſeiner Politik die alten, abgetretenen Wege verlaſſen und zur Anknüpfung friſcher Beziehungen den Mut finden müſſe. Preußen ſchien dem Staatsmanne ſeit der Erbeutung Schleſiens der böſeſte und gefährlichſte Feind der Habsburger Monarchie zu ſein. Als König Friedrich I. ſtarb, zählte Preußen bloß rund eineinhalb Millionen Einwohner; unter Friedrich dem Großen wuchs es zu einem Staate mit fünſeinhalb Millionen Bewohnern heran. Durch die Tüchtigkeit ſeiner Herrſcher war es in gleichem Maße in ſeiner innern Kraft und in ſeiner Macht nach außen erſtarkt und zu einem drohenden Rivalen Öſterreichs auf deutſchem Boden geworden. Kauniyt arbeitete mit zäher Entſchloſſenheit an der Herſtellung eines Bündniſſes mit Frankreich, das endlich zuſtande fam und den Zeitgenoſſen als „politiſches Phänomen““, als ein „ungeheuerliches Syſtem“ galt, denn es beendete den jahrhundertealten Streit zwiſchen den Häuſern Habsburg und Bourbon mit einem kühnen Federzuge. Auch Rußland ſollte auf die Seite Öſterreichs gezogen werden und ſeinem Beſize Schuß, ſeinen Projekten Vorſchub leiſten. Kaiſerin Katharina und Joſef IT. reichten ſich wirkli die Hände zu treuem Vereine. Aber nicht bloß dur<h Bündniſſe wollte Kaunig ſein Vaterland vor übelgeſinnten Nachbarn bewahren; es ſollte noh durch einen Gebietsaustauſh abgerundet und widerſtandsfähiger werden. Das von der Hauptmaſſe des weiten Länderkomplexes losgelöſte Belgien wurde als ſtörendes Gut empfunden ; das nahe Bayern lo>te dagegen und bildete ein Ziel der Sehnſucht des Staatsfkanzlers. Freilich, das heiße Verlangen nach dieſem Wechſel in den Beſißverhältniſſen mußte unbefriedigt bleiben, ebenſo wie der heimliche Wunſch nah einer Machterweiterung auf der Apenninenhalbinſel. Maria Thereſia folgte in der äußeren Politik im allgemeinen willig den Ratſchlägen ihres Miniſters. Joſef IL, ihr tatendurſtiger, großzügiger Sohn, ſtimmte gleichfalls im weſentlichen mit Kaunitz überein 2). Für den Kaiſer war nicht weniger als für den Staatskanzler Preußen der Feind ſeines Reiches ; dieſes Gefühl beherrſchte die diplomatiſchen Unternehmungen des gekrönten Reformators, der große Stücke von der Allianz mit Frankreich und Ruß-
1) Adolf Beer. Joſeph Il. Leopold IT. und Kaunig. Jhr Briefwechſel.
Wien 1873. (Einleitung.) il 2) Paul von Mitrofanov. Joſeph Il. Wien 1910. * I. Teil.