Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

322 Neueſte Geſchichte. 2. Zeitraum.

nur nichts von ſeiner Gegenwart in der Kammer, fondern fürchtete, ſeine Würde dabei auszuſeßen, und die Schaaren ungeordneten Volkes und der Gedanke an eine allgemeine Erhebung deſſelben für ihn flößten ihm kein Vertrauen ein. Einmal war eine ſolche Erhebung ungewiß, jedenfalls zu ſpät, und er ſelbſt ein zu erfahrener Kriegsmann, um nicht zu wiſſen,

_daß er mit ſolchen Mitteln dem Feinde niht widerſtehen konnte. Er ſpra< im Grunde von der Möglichkeit der Vertheidigung und von der Weigerung der Volksvertretung, ihm dazu die Mittel zu bewilligen , nur noc um vor der Welt den Schein zu retten, und als ein Opfer der Ränke der Einen und der Entmuthigung der Anderen dazuſtehen. Er fühlte, vaß er dem Strome für den Augenbli> weichen müſſe, es kam ihm nar noch auf die Art an, wie dies geſchehen ſollte.

Die Napoleon feindliche Partei unter den Repräſentanten war dur< Fouché von der Abneigung des Kaiſers gegen Ergreifung extremer Mittel und einen Angriff auf die Kammer unterrichtet, und {öpfte darin den Muth, auf eine ſnelle Abdankung zu dringen. Selbſt die eifrigſten Anhänger Napoleon's, ſogar ſein Bruder Joſeph, hielten dies für noth= wendig, falls nur der Thron dem Sohne Napoleon's geſichert und die Dynaſtie erhalten würde. Fouché, der noh weniger an eine verlängerte Herrſchaft der Napoleoniden als an die ihres Hauptes glaubte, hielt es jedoch für nüßlic , in dieſem Punkt die Oppoſition zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Der Sturz des Kaiſers galt ihm für das Weſentlichſte, der ſeiner Familie folgte dann von ſelbſt. Ein Kind von vier Jahren, das ſi in Wien in der Gewalt von Napoleon's Feinden befand, als Souverain anzuerkennen, erſchien ihm als ein Zwiſchenſpiel ohne Bedeutung für die Zukunft, aber geeignet, die Haupthandlung für den Augenbli> zum Abſchluß zu bringen. Von den Kammern war fein Widerſtand gegen einen ſolchen Antrag zu beforgen. Denn Konſtitutionelle und Republikaner, obwohl Gegner des Kaiſers, neigten ſich keine8weges den Bourbonen zu. In ihrem Parteieifer verkannten ſie, daß nah Napo= leon's Sturz Ludwig XVIIT. Rükehr unvermeidlich werden würde. Ein Theil davon überredete ſi, daß die verbündeten Mächte nur die Perſon des Kaiſers, aber nicht ſeine Familie, vom Throne ausgeſchloſſen hätten. Dieſer Irrthum entſtand aus der Verwandtſchaft des jungen Napoleon mit dem Kaiſer von Oeſterreich, von dem man keine gänzliche Gleichgülz tigkeit gegen das Schicfſal ſeines Enkelſohnes annehmen wollte, Andere dachten daran, dem Herzog von Orleans, dem man England geneigt glaubte, die Krone zuzuwenden.

Napoleon, obgleich innexlih {hon zur Nachgiebigkeit entſchloſſen,