Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871
348 Neueſte Geſchichte. 2. Zeitraum.
faſt die ganze Nacht hindur< in dem Garten der Tuileries öffentlich tanzten, und Lieder zu Ehren des Königs ſangen, der bis um Mitternacht ſi< auf dem Balkon zu zeigen, ja ſelbſt hinabzukommen veranlaßt wurde, um das Verlangen des Volkes nah ſeinem Anbli> zu befriedigen. Schon vor der Ankunft des Königs in Paris war ein neues Mini= ſterium gebildet worden , deſſen einflußreihſte Mitglieder Talleyrand, Fouché, Pasquier, der Marſchall Gouvion St. Cyr und Molé waren. Der Baron Pasquier ſtammte aus einer alten pariſer Parlamentsfamilie, die dur Etienne Pasquier, zu ſeiner Zeit ein ausgezeichneter Schrift= ſteller und Mitglied der Reichsſtände von Blois , wo die beiden Guiſe auf Befehl Heinrich TIT. ermordet wurden, in der franzöſiſchen Geſchichte einen Namen bekommen hatte. Pasquier war unter Napoleon eine Zeit lang Polizeipräfekt geweſen, dem Könige aber während der letzten Kataſtrophe treu geblieben. Er erhielt das Zuſtizminiſterium, und interimi= ſtiſch das des Innern, für welches man den General Pozzo di Borgo zu gewinnen hoffte, der, obgleich ein geborner Franzoſe, ſeine Stellung als ruſſiſher Botſchafter bei Ludwig XVII. und Adjutant des Kaiſers Alexander, dem franzöſiſchen Staatsdienſt vorzog. Graf Molé, eben=falls zu dem ehemaligen Parlamentsadel gehörig, ſtammte von Mathieu Molé ab, der während der Minderjährigkeit Ludwig XVI. Kanzler von Frankreich und während des Krieges der Fronde eine Stüge der könig= lichen Sache geweſen. Molé's Vater hatte zu den Mitgliedern des pa-= riſer Parlaments gehört, die von dem Revolutionstribunal zum Tode verurtheilt wurden. Napoleon, der Perſonen von aus8gezeihneter Herkunft, wenn ſie ſi ſeiner Regierung anſchloſſen, gern begünſtigte, hatte Molé 1813, ungeachtet ſeiner Jugend, das Zuſtizminiſterium über= geben. Während der hundert Tage war Molé mit der Leitung der öffentlichen Arbeiten beauftragt geweſen. Da ſein Name und ſeine Perſon Ludwig XVII. eben ſo wie früher Napoleon gefielen, ſo wurde er in dieſer Stellung beſtätigt. Gouvion St. Cyr, in ſeiner erſten Jugend Maler, dann ein ausgezeihneter General der Republik und des Kaiſer= reiches, war dur ſein Verwaltungstalent berühmt, und empfing das Kriegsminiſteriuum. Er hatte ſi<h von Napoleon während des zweiten Kaiſerreiches fern gehalten. Ein Mann, der früher Hofſtaatsſekretair der Mutter Napoleon's, dann der Königin Hortenſia geweſen, in der lebten Zeit aber in Bordeaux ſi in Verbindung mit Lainé durch ſeinen Eifer für das Königthum hervorgethan, Decazes, erhielt die wichtige Stelle eines Polizeipräfekten. Derſelbe ſollte innerhalb weniger Jahre niht nur zu den höchſten Würden emporſteigen , ſondern auch der ver=