Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

Antibonapartiſtiſche Stimmung. — Projcriptionslifte. 355

Ludwig XVI, war perſönli keinesweges zu Verfolgung und Rahe gegen ſeine Gegner geneigt. Sein ſcharfer Verſtand, die von ihm erlebten Schicfſale, die Ruhe und Unparteilichkeit, die das Alter begabten Naturen verleiht, entfernten ihn von jedem Uebermaß in der Theorie wie in der Praxis, und er verlor nie den Gedanken an den immer möglichen Wechſel der menſchlichen Dinge. Aber das Verlangen nah Beſtrafung der vornehmſten Anhänger Napoleon's während der hundert Tage war fo glühend, griff ſo ſtürmiſch um ſi, daß der König wenigſtens der Form nac eine Genugthuung gewähren zu müſſen glaubte. Da die Kammern niht verſammelt waren, um von ihnen für dieſen außerordentlichen Fall ein beſonderes Geſet zu erlangen , ſo erließ der König eine von Fouché unterzeichnete Ordonnanz, vermöge welher neunzehn Perſonen, faſt lau= ter Generale, die ſi< Napoleon vor dem 23. März, an welchem Tage Ludwig XVTIT. die niederländiſche Gränze überſchritten , angeſchloſſen hatten, vor ein Kriegsgeriht geſtellt werden follten. Achtunddreißig Andere, Militairs und Mitglieder der Napoleon'ſhen Kammern wurden angewieſen, innerhalb drei Tagen Varis zu verlaſſen , ſich an einen von dem Polizeiminiſter zu beſtimmenden Ort zu begeben, und dort ſo lange unter Aufſicht zu bleiben, bis die neuen Kammern über ihr Schi>ſal dur< Verbannung aus Frankreich oder Stellung vor die gewöhnlichen Gerichte, entſchieden haben würden. Die bedeutendſten in der erſten Kategorie waren: Ney, Labedoyere, Grouchy, Lefebvre-Desnouettes, Drouet, d’Erlon, Clauſel, de Lavalette, Mouton-Duvernet; zu der zweiten ge= hörten : Soult, Vandamme, Lamarque, Carnot, Lobau, Excelman, Maret, Barrere. —

Ludwig XVTIT. erklärte ausdrücflih, daß die Zahl der Angeklagten ſi auf die in der königlichen Ordonnanz mit Namen genannten beſchränfen, und unter keinem Vorwande ausgedehnt werden ſolle. Aber ſeine Abſicht war nict einmal, dieſe der Beſtrafung zu überliefern. Er wollte ſie aus Frankreich entfernt und dadur< unſchädli<h gemacht wiſſen, aber niht ihren Untergang. Fouché hatte, mit Einwilligung des Königs, in den Tagen vor der Bekanntmachung dieſer Proſcriptionsliſte, viele von dem ihm bevorſtehenden Looſe unterrichten, ihnen Päſſe in das Ausland, Reiſegeld, ja manchen ſelbſt die Mittel, außerhalb Frankreichs eine Zeit lang leben zu fönnen, zuſtellen laſſen. Die Meiſten machten von dieſer Nachſicht Gebrauch, und entflohen. Nur Diejenigen, welche der Gefahr troßen zu können glaubten, oder denen die Verbannung ſ{<limmer als alles Andere erſchien, fielen als Opfer ihrer Verblendung. Jeder von denen, die ſpäter hingerichtet wurden, hätte ſich damals leiht retten können

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