Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

Talleyrand's Verhältniß zu Ludwig XVTIT. 357

dem Körge in faſt tägliche Berührung kam, gaben ſi< mancherlei Miß= verältniſſe kund. Talleyrand arbeitete ſelbſt wenig, theilte ſeinen Ge= hülfen und Untergebenen ſeine Ideen über die vorliegenden Gegenſtände meiſt in wenigen Worten mit, und überließ ihnen die weitere Ausfühz rung, ohne darauf wieder zurü>zukommen, und ohne ſi<h um das Ein= zelne zu bekümmern. Er ragte mehr dur ſeine Unterhaltung, dur hingeworfene bedeutende Aeußerungen , und ſeinen früher erworbenen Ruf hervor, als daß er während ſeines lezten Miniſteriums wirkliche Leiſtungen und beſtimmte Ergebniſſe ſeiner Thätigkeit aufzuweiſen ge= habt hâtte.

Als Miniſter des Auswärtigen in Napoleon's glü>licher Zeit, wo die im Felde davon getragenen Erfolge die Unterhandlungen im Kabinet leicht machten, hatte Talleyrand, ungeachtet ſeiner zuweilen ſorgloſen Behandlung der Geſchäfte, immer ſeine Zwecke erreicht. Napoleon wußte außerdem durch ſeine eigene ununterbrochene Thätigkeit die Mängel ſeiner Diener zu erſeßen. Aber jezt nah den hundert Tagen, unter einem bejahrten, kränkelndea Könige, in einer Zeit, wo eine halbe Million fremder Sola daten das Land beſetzt hielt, gegenüber einer Koalition, in der von Frank= rei<hs Theilung und politiſcher Vernichtung die Rede geweſen, reichte Talleyrand’'s Sichgehenlaſſen und Abwarten niht aus. Die Unterhand= lungen mit den Verbündeten rü>ten niht von der Stelle, und Talleyrand ſchien darüber nicht beſorgt zu ſein. Hierzu kam noch, daß er, der lange einem ſo großen Manne wie Napoleon gedient, das Anſehen hatte, vielleicht ohne es zu wiſſen oder zu wollen, als Miniſter Ludwig XVTIL. etwas herunterge= ſtiegen zu ſein. Die großen Ereigniſſe, bei denen Talleyrand mitgewirkt, ſeine ſeltene Erfahrung, ſeine vornehme Kerkunft, denn die Grafen von Perigord, von denen ex abſtammte, hatter. ſhon zur Zeit Hugo Capet's bes ſtanden, gaben ſeiner Haltung eine Unabhängigkeit, wie ſie Miniſtern ihren Souverainen gegenüber niht gewöhnlich iſt, Er ließ dem Könige, wenn er mit ihm allein arbeitete, feine Freiheit bei der Wahl der anzu= ſtellenden Perſonen oder der zu treffenden Maßregeln, ſondern beſtand auf der einfahen Annahme feiner Anträge. In den Sißungen des Miz niſteriums entſchied ex immer ſelbſt die ſtreitigen Punkte, au< wenn der König anweſend war. Talleyrand ſchien mehr der Leiter und Beſchützer, als der Diener und Unterthan der Bourbonen zu ſein. Auf Lud=wig XVTIL. , ver ein Mann von Geiſt war und außerdem ſeine Würde fühlte, brahte Talleyrand's Verhalten und Stellung einen verleßenden Eindru> hervor. Ludwig XVIIT. hatte zwar dem franzöſiſhen Volte