Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871
362 Neueſte Geſchichte. 2. Zeitraum.
mus, um ſeine Scheu vor einer damals mit den größten Schwierigkeiten umgebenen Lage zu überwinden.
Armand Herzog von Richelieu , zu der Familie des großen Kardi= nals gehörig, und ein Enkelſohn des Marſchalls dieſes Namens, war dur< Geburt, Charakter und Verbindungen die geeignetſte Perſönlichkeit, der Ludwig XVIIT. in jenem Augenbli>e die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten anvertrauen konnte. Ex hatte vor der franzöſiſchen Rez volution unter dem berühmten ruſſiſhen General Suwarow als Frei= williger gedient, und ſi bei der Erſtürmung von Zsmail hervorgethan. Als der Kampf zwiſchen dem republikaniſchen und rohaliſtiſchen Frankreich ausbra< , war er von den Gränzen der Türkei na dem Rhein geeilt, um die Gefahren der Condé’ſchen Armee zu theilen, und hatte nah deren Auflöſung ein im engliſchen Solde ſtehendes Korps franzöſiſcher Ausge= wanderten befehligt. Des Bürgerkrieges überdrüſſig, begab er ſi<h na< Nußland, wo er, dur die Feldzüge unter Suwarow empfohlen, die Gunſt des Kaiſers Paul gewann, der ſie ihm aber, nac der Weiſe dieſes launenhaften Fürſten, bald wieder entzog. Das Verlangen, ſein Vaterland wiederzuſehen, führte ihn nah Paris, wo er von Napoleon, damals erſtem Konſul, die lo>endſten Anerbietungen erhielt, wenn er ſi ihm an= ſchließen wollte. Nichelieu ließ ſi< von dem Beiſpiel ſo vieler Alt= adeligen , die in Napoleon's Dienſt getreten, nicht verführen, und blieb den Bourbonen treu. Ex begab ſich wieder nah Rußland, wo ihm das Vertrauen des Kaiſers Alexander die oberſte Verwaltung der am Schwar= zen Meere liegenden Provinzen übergab. Richelieu leiſtete dort in einer zehnjährigen Verwaltung ſo Ausgezeichnetes, daß ſein Name, beſonders dur Das, was er für Odeſſa gethan, weit und breit bekannt wurde. Sein Verdienſt und ſeine edle Perſönlichkeit erwarben ihm die Gunſt des Kaiſers Alexander in fo hohem Grade, daß ihn dieſer in den leßten Jahren vor Napoleon's Sturz bei allen wichtigen Veranlaſſungen zu Rathe zog.
Richelieu konnte, wegen ſeines nahen Verhältniſſes zum Kaiſer Alexander, bei den Friedensunterhandlungen mit den verbündeten Mächten, auf mehr Berückſichtigung Frankreichs als irgend ein anderer fran= zöſiſher Staatsmann re<nen. Seine Aufrichtigkeit und Vaterlandsliebe waren geeignet, den übeln Eindru> von Talleyrand's Doppelzüngigkeit und Selbſtſucht auszulöſchen. Sein Name, ſein fle>enloſer Ruf, ſeine moraliſhen Grundſätze mußten den Royaliſten Vertrauen einflößen. Selbſt in den antibourbon'ſchen Parteien beſaß er feine Feinde, da er zu lange außerhalb Frankreichs gelebt hatte, um in die inneren Kämpfe ver= widelt geweſen zu ſein. Ex gehörte übrigens niht zu den Anhängern