Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

Talleyrand’'s Rücktritt. 361

Talleyrand forderte in einer Sibung des Miniſteriums, in der Ludwig XVTIT. erſchien, denſelben mit der ihm eigenen Feinheit unv Kühnheit auf, die Gerüchte zu widerlegen , die über eine Meinungsver= ſchiedenheit zwiſchen dem Könige und ſeinen erſten Räthen umherliefen, ließ ſeine Mißbilligung über den Einfluß des Grafen von Artois mer= fen, und ſoll ſogar, wie man behauptet hat, zu verſtehen gegeben haben, daß es zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe nothwendig werden könnte, dieſen Prinzen für einige Zeit aus dem Lande zu entfernen. Er ſ{loß damit, daf, ohne eine ausdrüliche Erklärung des Königs zu Gunſten ſei= nes Miniſteriums, dieſes niht im Stande ſein würde, der Oppoſition in den Kammern zu begegnen, und die Zügel der Regierung fortzuführen.

Ludwig XVTIL, der unterdeſſen im Stillen alle Vorbereitungen zur Bildung eines neuen Miniſteriums getroffen hatte, nahm Talleyrand’s Eröffnung mit dem Anſehen, überraſcht und verletzt zu ſein, auf, obwohl ſie ihm als eine Gelegenheit zum Bruche willkommen war. „Meine Miz niſter bieten mir demnach ihre Entlaſſung an,“ ſagte der König. „Sehr wohl. I< nehme ſie an und werde andere finden!“ — Ex verabſchie= dete das Miniſterium, ohne weitere Erklärung. Talleyrand war beſtürzt und hatte niht geglaubt, den König fo vorbereitet und entſchloſſen zu finden. Er ſuchte und erhielt dic Stelle eines Oberkammerherrn von Frankreich, für die er ſich durc ſeine Geburt eignete, die ihm aber, außer hunderttauſend Franken jährlichen Gehaltes, kein anderes Recht verlieh, als bei einigen feierlichen Gelegenheiten den König zu begleiten oder hinter deſſen Seſſel zu ſtehen. Talleyrand ſchied jetzt für lange Jahre aus dem öffentlichen Leben, bis er 1830, bei einem großen Wechſel im Geſchi>e Frankreichs, wieder eingreifend auftrat, und, wie dies in ſeiner Art war, die verließ, zu deren Erhebung er früher beigetragen hatte. Er bietet, obglei<h von Fouché durch Herkunft und Stellung ſehr verſchie= den, denno< mit demſelben eine gewiſſe geiſtige Familienähnlichkeit dar, nur daß die üblen Züge im Weſen des Herzoges von Otranto bei Talleyrand ſehr gemildert und verfeinert erſcheinen.

Decazes, den Ludwig XVIIL bei allen vertrauten Unterhandlungen brauchte, war beauftragt geweſen, dem Herzog von Richelieu den Vorſitz in einem neuen Miniſterium anzubieten. Erſt nah langem Widerſtreben ließ ſich dieſer zur Uebernahme einer ſolchen Stelle, die für viele Andere das höchſte Ziel des Ehrgeizes geweſen wäre, bewegen. Es gehörten die Vorſtellungen des Königs, des Kaiſers Alexander und anderer hochge= ſtellten Perſonen dazu, mehr aber vielleiht noh Nichelieu's Patriotis=