Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

ESI |T y abile E A DiE mB I n

374 Neueſte Geſchichte. 2. Zeitraum.

wandten und Freunden umhergefahren, um ihr Wort für die Verurthei= lung Ney's zu erhalten.

Das franzöſiſche Naturell, das ſih unter außerordentli<hen Umſtänz den immer auf eine äußerſte Seite wirft, wird, bald im Sinne der Frei=z heit, baſd in dem der Ordnung zu leidenſchaftlihen Uebertreibungen fortgeriſſen, die ſpäter andere im entgegengeſetzten Sinne hervorrufen, bis der blutige Kreislauf vollendet iſt, und für eine Zeit lang, wenn au< kein Abſchluß, aber ein Stillſtand eintritt. «

Ney, der nah der Wendung, die ſein Proceß beſonders in den leb-

t ten Tagen genommen, ſein Schi>ſal vorausſah, legte in ſeinen lebten Stunden die größte Ruhe und Feſtigkeit dar. Cauchy, Sekretair des Pairshofes, fand ihn, als er zur Verkündigung des Todesurtheiles in das Gefängniß trat, in tiefen Schlaf verſunken. Bei Erwähnung ſeiner Titel und Würden unterbra< er den Vorleſer mit den Worten: „Zur Sate! Zur Sache! Es genügt zu ſagen: Michael Ney und bald ein wenig Staub!“ — Er begab ſi wieder zur Ruhe und {lief am Rande des Grabes ſo feſt, als hätte er noh lange Tage vor ſi gehabt. Bei der letzten Zuſammenkunft mit ſeiner Familie ſuchte er ſeine Gemahlin, die erſt durc ihn ſeine Verurtheilung erfuhr, mit der Ausficht auf eino Begnadigung von Seiten des Kömgs zu tröſten, an die er ſelbſt aber niht glaubte. Er hatte anfänglid den Beſuch des Pfarrers von St. Sulpice, zu deſſen Kirchſpiel der Palaſt und das Gefängniß Luxemburg gehören, au8geſclagen, nahm aber zuleßt deſſen Zuſpruch und Begleitung an. Der Marſch der Truppen und das Raſſeln eines Wagens kündigten ihm an, daß ſein Ende unwiderruflich herannahte. Der Marſchall ſagte zu dem Geiſtlichen, der ihm den Vortritt laſſen wollte: „Steigen Sie nur zuerſt in den Wagen, ih werde doh vor ihnen dort oben ankommen !“ Ney hatte ſich zu ſeinem leßten Gange mit mehr Sorgfalt als gewöhnlich gekleidet, und ſah nicht nur gefaßt, ſondern ſelbſt heiter aus. Er war ſeit drei Monaten in Haft geweſen, und hatte während dieſer Zeit nur einz zelne Schildwachen zu Geſicht bekommen. Der Anblid der ein Spalier bildenden Truppen ſchien ſeinen friegeriſhen Sinn zu erfreuen, und er ihrer Beſtimmung zu vergeſſen. Man hatte zur Vollziehung des Todesurtheils den breiten Baumgang, der von dem Garten Luxemburg nah dem Obſervatorium führt, gewählt, und der Zug hielt vor einer Mauer ſtill, die zu einem 1791 aufgehobenen Karthäuſerkloſter gehört hatte. Nach dieſer Mauer ward der Marſchall geführt. Eine Abtheilung Ve= teranen war vor ihm aufgeſtellt. Der kommandirende Officier nahte ſi