Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871
Ney's Verurtheilung. 373
worden ſein. Die wenigen Pairs, die nicht für den Tod ſtimmten, waz ren meiſt ſolche, die nie zu Napoleon's Anhängern gehört hatten, wie die Herzöge von Montmorency und Broglie; der Marquis von Lally-Tollen= dal, die Grafen von Malleville und Lanjuinais, Letterer Präſident der Repräſentantenfammer während Napeleon's zweiter Herrſchaft, gegen den man aber, wegen ſeiner Vertheidigung Ludwig XVI. im Konvent, nicht einzuſchreiten gewagt und ihm ſeinen Pairsſiß zurü>gegeben hatte. Unter denen, die Ney das Leben abſprachen, gab es viele, die vorher niz etwas für die Bourbonen gethan hatten und ihnen auh ſpäter niht treu bleiben ſollten, ihren zweifelhaften Royalismus aber durch eine Handlung der Strenge erhärten zu müſſen glaubten. In dieſer Beziehung ſtellte Graf Molé ein beſonders merkwürdiges Beiſpiel auf, der, obgleich er während der hundert Tage zu Napoleon's Miniſtern gehört hatte, gleih= wohl deſſen erſten Unterfeldherrn zum Tode verurtheilte.
Eine Fraktion des Pairshofes hatte Ney zwar für ſchuldig erklärt, glaubte aber nicht, daß das Urtheil vollzogen werden würde. Sie hoffte von der Milde oder Politik Ludwig XVIII. eine Ermäßigung der Strafe. Der Herzog von Richelieu, Präſident des Miniſterrathes , von Natur großmüthig, begab ſich noch tief in der Nacht zu dem Könige , und ſtellte ihm die Gründe für eine Begnadigung des verurtheilten Marſchalls vor. Ludwig XVII. fühlte ſi< nict ſtark genug, um das Geſuch bewilligen zu können. „Ich hege keinen Haß gegen Ney,“ ſagte er zu ſeinem erſten Miniſter; „ih beklage vielmehr ſein Schi>ſal, und möchte ſeiner Familie gern einen Vater und Gatten und Frankreich einen Helden erhalten. Aber wenn ih Ihrem Wunſche nahgebe, ſo erklärt ſich die Majorität in den Kammern morgen gegen meine Regierung, und ih weiß niht, wo ein anderes Miniſterium finden. Ich bin ein konſtitutionellec König und fühle meine Hände gebunden.“
Die Stimmung am Hofe und in den tonangebenden Klaſſen war damals in der That eine ſolche, daß Ludwig XVIIL. , wollte er die Einz gebungen der Milde den Beſtimmungen des ſtrengen Rechtes vorziehen, einer ungewöhnlichen Feſtigkeit und Unabhängigkeit des Willens bedurft hätte. In den Cirkeln des Grafen von Artois, der Herzogin von Anz gouleme, unter den geiſtlichen und weltlichen Würdenträgern, die mit dem Hofe in Verbindung ſtanden, war von nichts als von der Nothwendigkeit der Verurtheilung des Marſchalls Ney, als einer unumgänglichen Bedingung füx die Sicherheit der Monarchie die Rede. In den lebten Taz gen des Proceſſes waren dieſe Frauen der vornehmen pariſer Geſellſchaft vom Morgen bis Abend bei den Mitgliedern des Pairshofes, ihren Ver=